Interview

Haidar Chahrour: „Ramadan ist die Zeit der Besinnung“

Haidar Chahrour: „Ramadan ist die Zeit der Besinnung“

Haidar Chahrour: „Ramadan ist die Zeit der Besinnung“

Stephan Schaar/shz.de
Schleswig
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Für Haidar Chahrour, den Integrationsbeauftragten der Stadt, hat die muslimische Fastenzeit durch die Corona-Beschränkungen viel von ihrem Reiz verloren. Besonders das Gemeinschaftsgefühl leidet. Foto: Stephan Schaar

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Alljährlich fastet Schleswigs Integrationsbeauftragter Haidar Chahrour im Ramadan. Durch Corona hat sich aber vieles verändert. Mit SN-Redakteur Stephan Schaar spricht der 34-jährige Familienvater über den muslimischen Fastenmonat und seine Bedeutung im Alltag.

Herr Chahrour, was genau ist der Ramadan und welche Bedeutung hat er?

Der muslimische Fastenmonat Ramadan zeichnet sich durch innere Einkehr und Verzicht, aber auch durch Freude und Gemeinschaft aus. Er ist eine der fünf Säulen des Islam und damit ein elementarer Bestandteil des Glaubens. Die weiteren Säulen sind das Glaubensbekenntnis, das Gebet, die Sozialabgaben oder Almosen und die Pilgerfahrt nach Mekka. Während des Ramadans gelten strenge Regeln, so ist zum Beispiel das Lügen und Lästern über andere, aber auch Rauchen und Geschlechtsverkehr verboten.

Muss jeder Muslim und jede Muslima fasten oder gibt es Ausnahmen?

Natürlich gibt es Ausnahmen. Alte und Kranke ebenso wie Schwangere, Stillende und menstruierende Frauen sind ausgenommen, und auch kleine Kinder müssen nicht fasten. Auch bei Menschen, die eine schwere, gefährliche oder lebenswichtige Arbeit haben, wird eine Ausnahme gemacht. Etwa bei Dachdeckern oder einem Chirurgen, die ohne zu essen und zu trinken sich oder andere gefährden würden. Die Fastenzeit kann dann auch später nachgeholt werden.

 

Durch den Verzicht wissen wir die Dinge wieder mehr zu schätzen.

Haidar Chahrour, Integrationsbeauftragter der Stadt Schleswig

Wann ist Ramadan und wie sind die Regeln für das Fasten?

Die Fastenzeit ist der neunte Monat im islamischen Mondkalender. Da dieser nur 354 Tage im Jahr hat, wandert der Ramadan über die Jahrzehnte durch alle Jahreszeiten. In der vierwöchigen Fastenzeit ist es verboten, zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang zu essen oder zu trinken. So beginnt man den Tag mit einem Frühstück vor Sonnenaufgang und nimmt dann bis zum Abend nichts mehr zu sich, noch nicht einmal ein Kaugummi. Nach Sonnenuntergang trifft man sich dann in der Familie oder auch mit Freunden zum Fastenbrechen. Dies beginnt erstmal mit einem Glas Wasser und Datteln. Danach geht es einem schon mal deutlich besser. Es folgt das gemeinsame Gebet und erst dann wird gegessen.

Warum fasten Sie, was bedeutet der Ramadan für Sie?

Für mich ist es eine wichtige Zeit der inneren Einkehr. Ich versuche dadurch, meinen Glauben zu stärken. Der Ramadan ist die Zeit der Besinnung auf das Wesentliche. Durch den Verzicht lernt man die Dinge wieder mehr zu schätzen. Aber es geht im Ramadan auch darum, sich um andere zu kümmern, Bedürftigen zu helfen und seinen Besitz zu teilen. Und natürlich ist die Gemeinschaft, das gemeinsame Gebet und das Fastenbrechen sehr wichtig. Gerade das hat Corona allerdings sehr verändert und eingeschränkt.

Ab welchem Alter beginnen Kinder mit dem Fasten?

In der Regel nehmen Kinder erst ab ihrem 14. Lebensjahr am Ramadan teil. Aber sie sollten auch nur mitmachen, wenn sie es selbst möchten. Für Kinder gibt es auch Ausnahmen, die das Fasten vereinfachen. Dann gibt es beispielsweise um 9 Uhr noch ein Frühstück oder trinken am Tage ist erlaubt oder das Fastenbrechen ist schon um 18 Uhr. Das ist ganz unterschiedlich. Und so können sie es auch genießen, ein Teil der Gemeinschaft zu sein und fühlen sich nicht ausgeschlossen.

Es gibt so viel Schönes, was den Ramadan ausmacht, das durch die Corona-Beschränkungen so nicht mehr möglich ist.

Haidar Chahrour, Integrationsbeauftragter der Stadt Schleswig

Schummeln Sie auch mal?

Nein, ich nehme das sehr ernst, weil es sonst auch nichts bringt. Als Kind habe ich heimlich genascht, aber dann hatte ich beim Fastenbrechen keinen Hunger und ein schlechtes Gewissen. Es ist dann einfach nicht das selbe Gefühl der Befriedigung, dass man durchgehalten und für seinen Glauben dieses kleine Opfer gebracht hat.

Wie reagieren Nicht-Muslime, wenn sie hören, dass sie vier Wochen fasten?

Überwiegend positiv. Natürlich gibt es auch mal einen Spruch oder Scherze, dass ich doch im Keller heimlich was essen könne, da könnte mein Gott mich ja nicht sehen. Aber das ist ja nur Spaß. Die meisten Menschen in meiner Umgebung finden das eher gut, respektieren oder bewundern sogar, was ich tue. Darum geht es mir aber nicht. Ich mache das für mich, weil es mir gut tut.

Sie beten nicht nur im Ramadan fünf mal am Tag. Wie lässt sich das in Ihren Alltag integrieren?

Das ist kein Problem. Es gibt fünf Gebetszeiten, die eigentlich eher Zeitfenster sind, in denen man sein Gebet verrichten kann. Morgens, Mittags, Nachmittags, Abends und das Nachtgebet. Ich bete morgens vor der Arbeit und das Mittagsgebet kann ich gut in der Mittagspause machen. Dafür fahre ich kurz nach Hause, das passt schon. Für das Gebet muss ich mich waschen und muss saubere Kleidung tragen. Das rituelle Gebet dauert nur etwa zwei Minuten, danach kommt das persönliche Gebet mit Bitten und Danksagungen an Gott.

Inwiefern hat sich der Ramadan durch die Corona-Krise verändert?

Sehr stark, es ist einfach nichts mehr wie früher, vor Corona. Es gibt so vieles, so viel Schönes, was den Ramadan ausmacht, das durch die Corona-Beschränkungen so nicht mehr möglich ist. Vor allem die Gemeinschaft leidet sehr darunter. Natürlich müssen wir die Corona-Regeln einhalten, aber sie verändern das ganze Gefühl und die Gewohnheiten und Traditionen, die sonst die Fastenzeit ausgemacht haben. Das ist wie mit Weihnachten, wo alle mehr damit beschäftigt waren, mit wem man sich überhaupt und unter welchen Bedingungen treffen darf und darüber das eigentliche Fest gar nicht richtig genießen konnten. Zum Ramadan gehört es normalerweise auch, seine Kontakte zu pflegen und auch in der Moschee Schulter an Schulter zu beten und im großen Kreis das Fastenbrechen zu feiern. Am Ende des Ramadan steht ja auch noch das Zuckerfest. Das ist einer der wichtigsten islamischen Feiertage, bei dem normalerweise mit Familie und Freunden bis zu drei Tage lang gefeiert wird. All das ist seit der Corona-Krise so nicht mehr möglich, da leiden alle Muslime drunter.

Gibt es auch positive Aspekte in der Krise?

Ja, denn Not macht erfinderisch. Nicht, dass die Corona-Pandemie irgendwie positiv ist, aber durch die Beschränkungen werden Dinge realisiert, die vorher noch nicht möglich schienen. So hat die Krise die Digitalisierung beschleunigt, unsere Flüchtlingsprojekte laufen inzwischen weitgehend digital und sind somit sicher. Und auch die muslimischen Gemeinden nutzen jetzt moderne Technik und digitale Plattformen, um trotz Corona mit ihren Gläubigen in Kontakt zu bleiben. So zeichnet der Imam seine Predigt auf und erklärt sie danach auch noch in verschiedenen Sprachen.

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