Volkszählung

China verzeichnet «alarmierenden» Geburtenrückgang

China verzeichnet «alarmierenden» Geburtenrückgang

China verzeichnet «alarmierenden» Geburtenrückgang

dpa
Peking
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Chinas Bevölkerung wächst auf insgesamt 1,41 Milliarden. Doch das Wachstum verlangsamt sich. Foto: Ng Han Guan/AP/dpa

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Noch weist Chinas Statistikamt Berichte zurück, die Bevölkerung sei bereits zurückgegangen. Doch die jüngste Volkszählung verdeutlicht ein massives Problem: Die Überalterung schreitet unaufhaltsam voran.

China kämpft mit einem massiven Geburtenrückgang und einer rapide alternden Bevölkerung. In den vergangenen zehn Jahren ist die Bevölkerung nach amtlichen Angaben nur noch um jährlich 0,53 Prozent auf 1,41178 Milliarden Menschen gewachsen und droht jetzt zu schrumpfen.

Wie die jüngste Volkszählung ergab, schreitet damit die Überalterung des Milliardenvolkes unaufhaltsam voran: Die Zahl der Chinesen über 60 Jahre sei seit 2010 um 5,44 Prozent auf 264 Millionen gestiegen, berichtete Pekings Statistikamt.

Die erste Volkszählung seit zehn Jahren und die siebte seit 1953 war im November und Dezember 2020 vorgenommen worden. Rund sieben Millionen Volkszähler waren von Tür zu Tür gegangen oder hatten Interviews am Telefon oder online vorgenommen. Nach den Erhebungen ist heute knapp jeder fünfte Chinese (18,7 Prozent) schon über 60 Jahre alt, während die Bevölkerungsgruppe im arbeitsfähigen Alter weiter zurückgeht. Experten warnen, dass die demografische Entwicklung die zweitgrößte Volkswirtschaft bremsen wird.

Der Abwärtsdruck auf die Bevölkerungsentwicklung werde sich «weiter verstärken», sagte der Direktor des Statistikamtes, Ning Jizhe. Seine Behörde, die die Veröffentlichung der Volkszählung wiederholt verschoben hatte, wies Berichte zurück, dass die Bevölkerung 2020 bereits zurückgegangen sei. Doch erwarten Experten «in diesem oder nächsten Jahr» einen Rückgang, wie die Zeitung «Global Times» berichtete, die vom Parteiorgan «Volkszeitung» herausgegeben wird.

Als Grund wird der massive Geburtenrückgang genannt, der in Staatsmedien als «alarmierend» beschrieben wird. Im Vergleich zu 2019 wurden im vergangenen Jahr sogar 15 Prozent weniger Neugeborene amtlich gemeldet, wie im Februar schon das Ministerium für öffentliche Sicherheit in Peking berichtet hatte. Die Zahl ist dessen Erhebungen nach 2020 von 11,79 auf 10,04 Millionen gefallen.

«In städtischen Gebieten dämpfen die hohen Kosten für Wohnraum, Gesundheit und Ausbildung die Begeisterung junger Paare, Kinder zu bekommen», stellte das Wirtschaftsmagazin «Caixin» fest. Auch geht die Zahl der Eheschließungen zurück. Die Scheidungsrate in China ist viel höher als etwa in Japan oder Südkorea. Viele Paare warten auch mit der Heirat und gründen erst später Familien.

Die Aufhebung der seit 1979 geltenden Ein-Kind-Politik hatte 2016 nur zu einem leichten Anstieg der Geburten geführt. Seither ist die Zahl jedes Jahr gefallen. Chinas jahrzehntelange Familienplanung hat das Fruchtbarkeitskonzept der Chinesen verändert. Die Menschen hätten sich daran gewöhnt, nur ein Kind zu haben, ist häufig zu hören.

Unabhängige Experten haben auch ernste Zweifel, ob die amtlichen Volkszählungsdaten überhaupt die Realität widerspiegeln. So ist der Familienplanungsexperte Yi Fuxian von der Universität von Wisconsin anhand seiner Berechnungen überzeugt, dass Chinas Bevölkerung längst schrumpft. «Ich denke, es begann 2018», sagte der Professor der Deutschen Presse-Agentur. Aus seiner Sicht wurde China als bevölkerungsreichstes Land auch längst von Indien abgelöst, das 1,366 Milliarden Menschen zählt.

«Die wahre Bevölkerungszahl hat 2020 höchstwahrscheinlich die 1,28 Milliarden nicht überschritten - weit weniger als die offiziell genannten 1,4 Milliarden», sagte Yi Fuxian. Die Statistik sei stark nach oben manipuliert worden. «Das Problem ist sehr ernst», sagte der Experte. «Es bedeutet, dass Chinas Wirtschaft, Gesellschaft, Bildung und Verteidigung auf falschen Bevölkerungsdaten basiert.»

Er zählt mehrere Widersprüche auf: So seien im Jahr 2000 beispielsweise 17,8 Millionen Geburten gezählt worden, doch habe es 14 Jahre später nur 13,7 Millionen 14-Jährige gegeben. Aus seiner Erfahrung wird die Zahl der Geburten in der Statistik ständig zu hoch angegeben. «Früher war es um 20 bis 30 Prozent, aber heute um 40 bis 50 Prozent.»

Verzerrungen kann es auch geben, wenn die Volkszählung mit früheren Statistiken und dem Wohnortmeldesystem (Hukou) abgeglichen werden. So sind in China mehr Menschen gemeldet als wirklich existieren. Experten beklagen korrupte Geschäfte, indem Hukou-Anmeldungen mehrfach an eine Person vergeben werden. Ein Grund: Mancherorts ist der Kauf einer Wohnung auf eine Anmeldung limitiert. Verschuldete Kommunen melden wohl auch gerne inflationierte Bevölkerungszahlen an höhere Stellen, um mehr Finanzausgleich für Bildung, Gesundheit, Armutsbekämpfung oder Infrastruktur zu bekommen.

Experten warnen, dass der Rückgang der Bevölkerung und die «beispiellose» Überalterung den Konsum auf dem Milliardenmarkt und das Wachstum bremsen wird. Auch der boomende Außenhandel werde leiden. Sorgen macht ferner die Immobilienblase. Die neuen Zahlen werden auf jeden Fall die Debatte über eine unpopuläre Anhebung des Rentenalters anfachen. China hat weltweit eine der niedrigsten Altersgrenzen: Frauen können je nach Beruf mit 50 oder 55 Jahren in Rente gehen - Männer mit 60. Die Regelung stammt noch aus den Anfängen der Volksrepublik, als die Lebenserwartung niedrig war. Immer wieder heißt es: «China wird grau, bevor es reich wird.»

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