100 Jahre deutsch-dänische Grenze

Ausstellung zum Jubiläumsjahr geht digital zu Ende

Ausstellung zum Jubiläumsjahr geht digital zu Ende

Ausstellung zum Jubiläumsjahr geht digital zu Ende

Antje Walther/shz.de
Flensburg
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Stephan Kleinschmidt (links) führt durch die Finissage auf dem Museumsberg Flensburg, die per Livestream übertragen wurde, und befragt Marco Petersen von der Dänischen Zentralbibliothek. Foto: Antje Walther/Screenshot

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„Perspektivwechsel 2020 – 100 Jahre Grenzgeschichten“ endet per Livestream – genau ein Jahr nach der Eröffnung.

Die Umstände waren filmreif: Vor einem Jahr am 14. März sollte Flensburgs aufwendigste aller Ausstellungen „Perspektivwechsel 2020 – 100 Jahre Grenzgeschichten“ mit großem Brimborium auf dem Museumsberg eröffnet werden. Denn an diesem Tag vor 100 Jahren stimmten die Menschen in der Region über ihre Grenze ab.

Die rasante Entwicklung der Pandemie im Jahr 2020 verhinderte jedoch kurz zuvor die Vernissage. Erst im Mai kamen die ersten Gäste. 25.000 Menschen haben sie insgesamt gesehen. Auf den 101. Jahrestag der Volksabstimmung fiel jetzt das Ende der Ausstellung – und wieder blieben die Besucher draußen.

Zur Finissage am Sonntag, 14. März 2021, empfing Stadtrat Stephan Kleinschmidt in einem der Ausstellungsräume im Hans-Christiansen Haus nacheinander nur ein paar Gesprächspartner – live und virtuell. Per Livestream konnte ein jeder 100 Minuten lang dabei sein.

Deutlich wurde: Die Grenze ist mehr als ein Strich in der Landschaft, nicht erst im Jubiläumsjahr, in dem sie derart reale Gestalt annahm, wie es viele Grenzlandbewohner nicht mehr für möglich gehalten hatten.

Lieblingsobjekt des Museumsdirektors Michael Fuhr und plötzlich so aktuell. Foto: Antje Walther/Screenshot

Museumsdirektor Michael Fuhr benannte als eines seiner Lieblingsobjekte in der Ausstellung deshalb auch ein verbeultes Schild an einer Kette, das er im Depot seit 2001 verwahrte, weil man es für ausgedient hielt. „Geschlossen – lukket“ steht darauf. Es stammt, sagt Fuhr, vom kleinsten Grenzübergang Schusterkate. Man sei von den tagespolitischen Ereignissen überrollt worden, die Ausstellung habe eine neue Aktualität gewonnen, resümiert der Museumschef.

Davon bekamen auch die Ausstellungsmacherinnen aus Hamburg beim Aufbau 2020 einen Vorgeschmack, als sie eines der vielen Alltagsobjekte für den Raum zum Thema „Transit“ besorgen wollten, nämlich dänisches Dosenbier, und als Deutsche nicht durften. Stephan Kleinschmidt konnte seinerzeit aushelfen.

In ihrem Videogespräch am 14. März 2021 schwärmt Nina Holsten dann auch von den „vielen schönen Leihgaben“, die halfen, sie für die Menschen vor Ort „zu ihrer Ausstellung zu machen“. Sie habe erfahren, dass die „Grenze für alle Menschen in der Region sehr präsent ist, so durchlässig sie auch sein mag.“

Museumschef Michael Fuhr in der Ausstellung mit Flensburger Stadtmodell. Die Verbesserungsvorschläge der Besucher - wie „eine Brücke über die Förde oder mehr Radwege“ - sollen der Stadtplanung vorgelegt werden. Foto: Antje Walther/Screenshot

Susanne Grigull, in deren Flensburger Schifffahrtsmuseum ebenfalls ein Teil der Schau präsentiert wurde, haben es besonders die Partoutkarten, die Dauerkarten für die Fördeschiffe, angetan. Mit ihnen sind die Petuh-Tanten eng verbunden. Dritte im Bunde der Ausstellungs-Standorte in Flensburg ist die Dänische Zentralbibliothek: Marco Petersen hebt auf die Interaktivität der Schau ab, die seinem Haus unter anderem einen Bilderwand und Statements von Besuchern beschert, die sich mittels des Fotoautomaten verewigten.

Vom Gegeneinander zum Miteinander

Der Historiker skizziert im Gespräch mit Stephan Kleinschmidt so kurz es geht die europäische Ausgangslage, die schließlich zur Volksabstimmung 1920 führte. Petersen erklärt unter anderem die Rolle der Französischen Revolution und mit ihr die demokratische Idee, die Jahrzehnte später die „Mischgesellschaft“ im heutigen Grenzland erfasste. Er zeigt Bilder des besonders dänisch geprägten Arbeiterviertels im Oluf-Samson-Gang und erinnert daran, dass der Weg nach der friedlichen Stimmabgabe zunächst von einem Gegeneinander geprägt war, bis daraus ein Miteinander wie heute wurde.

 

Die Ausstellung ist ein großer Wurf.

Kultur- und Bildungsministerin Karin Prien

Bildungsministerin Karin Prien, die schon bei der Eröffnung 2020 als Gast dabei sein sollte, adelt die Ausstellung in ihrer Videobotschaft zur Finissage als „großen Wurf“ und erwähnt ebenfalls „das Erfolgsmodell“, das in 100 Jahren aus Misstrauen erwuchs und ein Miteinander wurde. Ihre Anregung eines virtuellen Rundgangs auch nach der Finissage wurde umgesetzt; auf der Website der Landesregierung gibt es zusätzliche umfassende Informationen.

Priens dänische Kollegin Joy Mogensen hat ein Grußwort geschickt; Stadtrat Kleinschmidt liest es vor. Mogensen betont, dass es eben, wie die Ausstellung zeige, „nicht nur die eine Erzählung gibt“. Die Grenzziehung sei für manche eine Enttäuschung gewesen, aber sie war die richtige Grundlage für Frieden.

Krisenfeste deutsch-dänische Freundschaft

„Eine echte Freundschaft überdauert jede Krise“, sagt Simone Lange, Flensburgs Oberbürgermeisterin, in ihrem Grußwort auf Deutsch und auf Dänisch. Ihren Amtskollegen Erik Lauritzen aus Sonderburg interviewt Stephan Kleinschmidt ebenso wie den Flensburger Stadtpräsidenten Hannes Fuhrig sowie Simone Wörner vom gwf-Team aus Hamburg und Prof. Bernd Henningsen.

Die beiden letzteren sind Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats und heben eine Buch-Dokumentation hervor, die einen Katalog ersetzt. Neben dem virtuellen Rundgang und der Aufzeichnung der Finissage macht die Dokumentation die Ausstellung künftig erlebbar. Das Buch sei entlang der fünf Ausstellungsräume strukturiert, erläutert Henningsen, werde zudem durch Experten-Perspektiven ergänzt. Und eben auch die Besucher-Statements – 350 an der Zahl – werden gesammelt und ausgewertet, sagt Wörner und kündigt an, dass die Dokumentation Ende des Jahres pünktlich zum Weihnachtsfest vollendet werden soll.

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Cornelius von Tiedemann
Cornelius von Tiedemann Stellv. Chefredakteur
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