Alte Bahnpost Flensburg

16 Künstler streamen aus zwölf Räumen in alle Welt

16 Künstler streamen aus zwölf Räumen in alle Welt

16 Künstler streamen aus zwölf Räumen in alle Welt

Gunnar Dommasch/shz.de
Flensburg
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Projekt alte Bahnpost Flensburg
Pui Yang Fong und Lara Göbel sind Teil des ungewöhnlichen Projekts in der Alten Bahnpost Flensburg. Foto: Gunnar Dommasch

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Ob Tanzpädagogin, Maler oder Lichtdesigner: Diverser geht es nicht, sagen die Beteiligten des Kunstprojekts, das wieder Leben in den Leerstand des Gebäudes am Bahnhof bringt.

Kabelschlangen durchziehen das Obergeschoss, Kameras und Laptops in jeder Ecke. Gestreamt wird aus dem Norden in die ganze Welt. Künstlerinnen aus Malaysia und Serbien sind zugeschaltet. Multimedia hat neben 16 Kunstschaffenden aus ganz Deutschland Einzug gehalten - so viel Technik hat die Alte Bahnpost noch nicht erlebt. Und auch für die Stadt Flensburg und deren Leitbilder ist dieses innovative Format namens „Zwölfhochdrei“ etwa ganz Besonderes, wenn nicht sogar Richtungsweisendes.
Tanzpädagogin Hanna-Lina Hutzfeldt-Franzke
Tanzpädagogin Hanna-Lina Hutzfeldt-Franzke verbindet digitale und reale Welt. Foto: Gunnar Dommasch
In Raum Nummer 12 ergänzen sich die digitale und reale Welt. Videos reagieren in Echtzeit auf die Bewegungen der Tanzpädagogin Hanna-Lina Hutzfeldt-Franzke (27), elektronische Beats und wummernde Bässe untermalen und beeinflussen das Geschehen, das gesteuert wird von IT-Systemarchitekt Dirk Hoffmeister, der sich der kybernetischen Kunst verschrieben hat.
 
Gegenüber arbeitet sich 3D-Mapping-Artist und Lichtdesigner Benjamin Rachfahl geduldig an einer Wand ab - das markante Mauerwerk, eine hölzerne Flügeltür und ein Sprossenfenster werden mittels 3D-Animation in immer neues Licht getaucht und von bizarren Mustern überlagert.
Henrik Becker
Künstler in Adiletten: Henrik Becker. Foto: Gunnar Dommasch

„In or out" ist das Motto von Choreografin Tanja Emmerich. Die 40-Jährige tanzt auf einem schwarzen, mit Quadraten versehenen Boden, der an das Brettspiel „Mühle“ erinnert. Da geht es um das Verlassen alter und die Eroberung neuer Räume, darum, loszulassen und Entscheidungen zu fällen. „Bin ich noch glücklich?“, stellt sie die zentrale Frage, „bin ich mutig genug?“ Für sie ist das Happening „ein mega-spannendes Projekt“, ein Ambiente, an dem man sich ausprobieren könne.

Findet auch Henrik Becker, der seine Sehnsüchte, Träume und Utopien in zwei großformatigen, farbintensiven Bildern festhält. Er wirft Öl, Acryl und Sprühfarbe auf die Leinwand. Schreibt: "I want to live on an island, sitting on palm trees." Noch aber sind die tropischen Früchte in weiter Ferne, er steht mit seinen Adiletten in der sonst so trostlosen Bahnpost, „ein geniales Gebäude, aus dem man noch viel mehr machen könnte“. Wenn das so einfach wäre...

Der 29-Jährige ist wie alle Beteiligten begeistert von dem Zusammentreffen der 16 ausgewählten Künstler, die hier einen Leerstand bespielen; Alter und Herkunft ganz verschieden, die Genres heterogen. „Diverser geht's nicht.“ Ausdrücklich geht es den Veranstaltern um Diversifizierung, sie zeigen Flagge gegen Ausgrenzung und Diskriminierung.

Buntes Flensburg und ein Manifest

Bedauerlich, dass an einem Tag, an dem die Inzidenz gen null geht, kein Publikum zugelassen ist - was Interaktion möglich gemacht hätte. Aber das hat sich nicht voraussehen lassen. Insofern zeigt sich Mit-Initiatorin Dany Heck (Norder147) zunächst einmal dankbar, dass die Stadt so flexibel und unbürokratisch kooperiert habe. Entstanden sei in diesen zwölf Stunden und in der Vorlaufphase eine friedliche Koexistenz in inspirierender Atmosphäre.

Cindy Jänicke (KUENDAproductions) spricht von einem „extrem gelungenen Experiment“, das Diversität in alle Richtungen gespiegelt habe. Nun gehe es darum, nicht stehen zu bleiben, sich auch für die Zukunft sorgfältig Partner „auf Augenhöhe“ auszusuchen.

Einer Stadt, die sich so bunt und weltoffen gebe, stünde es gut zu Gesicht, wenn sie ihren Fokus stärker auf den Kulturbereich legen würde, meinen beide. Der Zusammenschluss "DiverCity" wird die kreativen Stunden nun auswerten und mit einem Manifest an die Öffentlichkeit gehen, das die Grundlagen für weitere Kooperationsprojekte verankert.

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