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„Voll daneben“: Vitamintabletten schützen nicht vor Covid-19, sagen Forscherinnen

„Voll daneben“: Vitamintabletten schützen nicht vor Covid-19, sagen Forscher

„Voll daneben“: Vitamintabletten schützen nicht vor Covid-19

cvt
Kopenhagen
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Nahrungsergänzungsmittel sind bei vielen beliebt – und manche trauen ihnen sogar geradezu wundersame Dinge zu. (Archivfoto) Foto: Ida Guldbæk Arentsen/Ritzau Scanpix

Ein dänischer Arzt sorgt mit seinen Theorien, dass Nahrungsergänzungsmittel vor dem Virus schützen, im Netz für Aufsehen. Doch seine Behauptungen seien völliger Unsinn, sagen Expertinnen.

Vergesst Atemschutzmasken und bekämpft Covid-19 stattdessen mit Vitamin D, Vitamin C, Selen, Echinacea und Zink. Das und mehr empfiehlt der dänische Allgemeinmediziner Claus Hancke in einem Interview mit dem Online-Medium „Free Observer“. Doch wie das Wissenschaftsmagazin „Videnskab.dk“ berichtet, halten Expertinnen auf dem Gebiet diese Aussagen des Alternativmediziners für gefährlichen Unsinn.

Hancke behauptet in dem Interview mit dem Medium, das sich als Teil einer „internationalen Veränderungsbewegung“ begreift, es sei wissenschaftlich dokumentiert, dass man der Covid-19-Infektion vorbeugen kann, indem man sein Immunsystem mit Nahrungsergänzungsmitteln stärkt. „Dahinter steckt solide Wissenschaft, doch man negligiert das“, so Hancke.

„Was für ein Unsinn“

Es klingt fast zu gut, um wahr zu sein: Nahrungsergänzungsmittel aus dem Supermarkt helfen gegen Covid-19? Nein, sagt Susanne Gjedsted Bügel zu „Videnskab.dk“: „Was für ein Unsinn!“  

Die Professorin für vorbeugende und klinische Ernährung am Institut für Sport und Ernährung der Universität Kopenhagen reiht sich damit ein in die lange Reihe von Fachleuten, die dazu raten, die Finger von teuren (und billigen) Nahrungsergänzungsmitteln zu lassen, und stattdessen Sport zu treiben und sich gesund zu ernähren.

Die Behauptung, dass man sich mit Tabletten, Tropfen oder Pulver aus dem Nahrungsergänzungsmittel-Regal sogar gegen Corona schützen könne, sei geradezu unverantwortlich, sagt Gjedsted Bügel. Ihr Spezialgebiet: Sie erforscht, wie der Körper Vitamine und Mineralstoffe aufnimmt.

„Claus Hancke ist Arzt und sollte Verantwortung für die Gesundheit der Leute übernehmen. Das tut er nicht, wenn er sagt, dass man einfach nur Nahrungsergänzungsmittel nehmen soll und damit Corona entgeht“, sagt sie – und fragt frustriert: „Warum nur gibt es so viele unverantwortliche Experten, die die Leute mit Nonsens abfüllen?“

Ein Covid-19-Patient wird auf der Intensivstation des Bispebjerg-Krankenhauses in Kopenhagen gepflegt. Vitamintabletten hätten ihn sicher nicht geschützt, so eine Reihe von Forscherinnen in „Videnskab.dk“. (Archivfoto) Foto: Ólafur Steinar Gestsson/Ritzau Scanpix

Das Immunsystem ist eine feinjustierte Maschine

Das fragt sich auch Henrik Ullum, der an der Uni Kopenhagen und am Reichshospital als Professor für Immunologie lehrt und tätig ist.

„Was Claus Hancke sagt, ist völlig daneben. Dass es magische, einfache Mittel wie Vitaminzusätze geben soll, die das Immunsystem stärken, ist niemals wissenschaftlich nachgewiesen worden“, sagt er.

„Das Immunsystem ist eine feinjustierte Maschine, die sich in Tausenden Jahren der Evolution entwickelt hat. Zu glauben, dass man das mit einem einzigen Wundermittel wie Vitaminzusätzen optimieren kann, sodass man gegen Viren geschützt ist, ist naiv“, so Ullum.

Alternativmediziner propagiert Zusatzstoffe

„Videnskab.dk“ hat Claus Hancke kontaktiert und ihn gebeten zu vertiefen, auf welchen Forschungsergebnissen seine Behauptungen beruhen. Er verweist auf einen Artikel in der Fachzeitschrift „BMJ“, der zeige, dass „Vitamin D die Überlebenschancen steigern und die Symptome bei SARS reduzieren“ könne.

Doch Christian Gluud, Oberarzt und Forschungsleiter der Versuchseinheit CTU am Zentrum für klinische Interventionsforschung am Reichshospital, hat die Studie gelesen – und ist nicht der Auffassung, sie lasse den Schluss zu, dass Vitaminzusätze Covid-19 vorbeugen können, schreibt „Videnskab.dk“.

Hancke beharrt auf seiner Ansicht: „Es gibt viel Literatur, sowohl alte als auch neue, die nicht übersehen werden sollte. Besonders, wenn es um völlig unschädliche Mittel geht“, sagt er.

Nahrungsergänzungsmittel sind nicht unschädlich

Doch auch hier irrt der Arzt, sagen die Forscherinnen, mit denen „Videnskab.dk“ gesprochen hat. Sie warnen sogar davor, der Behauptung Hanckes zu glauben.  

Hancke ist Vorsitzender der rund 80 Mitglieder umfassenden Vereinigung der Orthemolekularmediziner in Dänemark. Dabei handelt es sich um einen Zusammenschluss von Ärzten, die an die alternativmedizinische Methode der teils hochdosierten Verabreichung von Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen glauben. Einen Nachweis ihrer Methode gibt es nicht.   

„Es ist gefährlich, so etwas als Vorbeugung oder Behandlung zu empfehlen. Wenn es Studien geben würde, die gezeigt hätten, dass sie wirken und das Immunsystem stärken, wäre das etwas anderes – aber die gibt es schlichtweg nicht“, sagt Henrik Ullum.

Er warnt: „Wenn man überdosiert, besteht die potenzielle Gefahr, sich Schaden zuzufügen.“

Nur für diejenigen, die einen eindeutigen Vitamin- oder Mineralstoffmangel haben, weil sie zu wenig essen oder sich zu einseitig ernähren, könnten Nahrungsergänzungsmittel nützlich sein. Doch selbst da gebe es keine Evidenz, dass sie das Immunsystem direkt stärken, sagt Ullum.

 

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