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Wirtschaftsprofessor: Protektionismus durch die Hintertür Gefahr für Dänemark

Wirtschaftsprofessor: Protektionismus durch die Hintertür Gefahr für Dänemark

Wirtschaftsprofessor: Protektionismus durch die Hintertür

DN
Kopenhagen
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Professor Philipp Schröder und Siegfried Matlok beim Interview in Kopenhagen. Der „Berliner“ Schröder ist mit einer Dänin verheiratet. Das Ehepaar lebt in Aarhus und hat zwei Kinder. Foto: DK4

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Der 1996 in Lübeck geborene und aus Berlin stammende Philipp Schröder hat sich in Dänemark als Professor für internationale Wirtschaft an der Universität Aarhus schnell einen Namen gemacht. In der Fernsehsendung „Dansk-tysk med Matlok“ auf „DK4“ spricht Schröder über Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der deutschen und dänischen Wirtschaftspolitik.

Deutschland hat die Folgen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine wirtschaftlich bisher besser bewältigt als erwartet, aber der aus Berlin stammende Ökonomie-Professor Philipp Schröder von der Universität Aarhus, der auch als Wirtschaftsberater der dänischen Regierung tätig ist, beobachtet gleichzeitig eine unangenehme Tendenz: Überrascht, ja verblüfft ist er darüber, dass in Teilen der deutschen Gesellschaft unter anderem mit den Querdenkern in gewisser Weise „eine Amerikanisierung“ immer mehr spürbar ist ­− mit den gleichen Plattformen und auch mit derselben Wirkung wie in den USA.

In der Fernsehsendung „Dansk-tysk med Matlok“ auf „DK4“ nennt Schröder als Gründe für diese Schieflage die hohe soziale Ungleichheit. Das negative soziale Erbe scheint in Deutschland tief verwurzelt. Auch vor dem Hintergrund eines hohen Defizits in der Bildungspolitik und in der Familienpolitik, die sich besonders von Dänemark unterscheidet: mit dem Stichwort Kindergärten und der damit auch verbundenen geringeren Erwerbstätigkeit von Frauen in Deutschland.

Dass sich die Cassandra-Rufe angesichts der Abhängigkeit vom russischen Erdgas nicht bewahrheitet haben, ist nach Ansicht des Ökonomie-Professors nicht so sehr ein Verdienst der Regierung Scholz-Habeck-Lindner, sondern vielmehr den Wirtschaftsbossen zu verdanken. Sie haben durch eine rasche Reduktion ihres Energiebedarfs an Gas und durch die Schaffung neuer Handelsketten erreicht, dass sich die wirtschaftliche Lage in Deutschland besser entwickelt habe als vor einem Jahr noch befürchtet. Die Wirtschaftsbosse haben nach seiner Meinung in der Krise schneller reagiert und navigiert als die Politiker.

Deutschlands große digitale Schwächen

Sowohl Dänemark als auch Deutschland haben vor dem Hintergrund solider, voller Haushaltskassen die Corona-Krise gut überstanden. Jedoch habe die Corona-Krise auch große Schwächen in Deutschland bloßgelegt; vor allem im digitalen Bereich. Als Beispiel für den digitalen Nachholbedarf nannte er die Notwendigkeit von Unterschriften auf Papier per Fax bei Corona-Tests. „Da hat sich gezeigt, wie effektiv Dänemark digital aufgestellt ist“, betonte der Professor.   

Im Interview mit Siegfried Matlok spricht Schröder über die wirtschaftspolitische Zeitenwende, über die Kehrtwende in der deutschen Haltung zur Frage der Schuldenaufnahme durch die EU. Die schwarze Null war früher Konsensus zwischen den großen deutschen Parteien, Deutschland galt stets als Hüter der geldpolitischen Stabilität und Angela Merkel hielt diszipliniert daran fest, aber jetzt müsse man abwarten, ob diese durch den Corona-Hilfsfond der EU veränderte Politik durch die Berliner Ampel-Regierung weiter fortgesetzt wird. Auch angesichts der Wünsche nach einer Finanzierung eines neuen europäischen Investitionsplanes als Antwort auf US-Präsident Bidens „Green-Deal“.

In Europa gebe es viele Probleme, die nur kollektiv gelöst werden können, aber es sei eben eine offene Frage, welche Spielregeln künftig für eine Schuldenpolitik in der EU gelten sollen, zumal die EU ja von einer gemeinsamen Finanzpolitik noch sehr weit entfernt sei.

Kriegsmentalität – Kriegswirtschaft

Der für die EU-Außenpolitik zuständige Kommissar Borell hat kürzlich von der Notwendigkeit einer europäischen Kriegsmentalität und Kriegswirtschaft gesprochen. Der Begriff Kriegswirtschaft habe in seinen Ohren jedoch einen schlechten Klang, so Schröder, denn damit hängt auch die Gefahr einer wirtschaftlichen Autarkie zusammen. Hier entsteht vielleicht sogar eine neue europäische Industriepolitik, die in der dänischen Diskussion noch gar nicht angekommen ist.

Mit der Gefahr, dass bisher bewährte Prinzipien über Bord geworfen werden könnten. Dänemark hat bisher profitiert von einem offenen Markt für dänische Waren und auch von der gleichberechtigten Beteiligung an der Ausschreibung öffentlicher Projekte in den EU-Ländern. Das habe zum dänischen Wohlstand beigetragen, aber zurzeit erlebe man jedenfalls rhetorisch, dass sich diese Möglichkeiten ändern können, wenn man plötzlich nur noch an eine nationale Selbstversorgung denke.

Das wäre dann Protektionismus durch die Hintertür mit enormen Risiken. Die großen Volkswirtschaften wie die deutsche und französische haben da ja keine Wettbewerbs-Probleme, aber für ein kleines Land wie Dänemark wird es dann viel schwieriger, so die Analyse des Aarhus-Professors.

Der Krieg hat seinen Preis

Im Interview darauf hingewiesen, dass die Deutschen nach Ansicht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin durch den Ukraine-Krieg pro Kopf ärmer werden, sagt der Professor, dass die Kriegskosten auch in Dänemark „ihren Preis haben“. Die große Gefahr liegt dabei nach seinen Worten in einer Schwächung der Globalisierung, die bereits zu beobachten ist. Das trifft dann besonders kleinere Länder, kleinere Unternehmen und kostet auch in Dänemark Wohlstand.

Wenn man die Produktionsstätten aus dem Ausland wieder in die jeweiligen Länder zurückhole, dann werde man dadurch nicht reicher, sondern ärmer. Dadurch geht Produktionswert verloren, der gegenwärtig durch die internationale Arbeitsteilung bei In- und Export entsteht. Es sei falsch, nur starr auf die Exportzahlen zu blicken, denn diese Arbeitsteilung sei ein Wachstumsmotor in Deutschland und Dänemark − übrigens aber auch ganz erheblich für die USA, erklärte der Ökonomie-Professor.

Globalisierung macht reich

Wenn die Abhängigkeit vom russischen Erdgas ein großes Problem darstelle, dann sei die Abhängigkeit im Außenhandel mit China ein viel, viel größeres Problem sowohl für Deutschland als auch für Dänemark. Es sei sehr wichtig, nicht von einzelnen Lieferungen aus China völlig abhängig zu sein, aber ohne die Arbeitsteilung mit China würde man die Gewinne der Globalisierung gefährden.

Ein europäischer Freihandel, der auf europäischen Werten wie Demokratie und Menschenrechten basiert, und trotzdem wie in früheren Zeiten mit autokratischen Ländern wirtschaftlich zusammenarbeitet, sei durchaus ein europäisches Modell für die Zukunft – ohne zu große Abhängigkeit von einem einzelnen Partner, betonte Professor Philipp Schröder.

Den Link zur Sendung finden Sie auf der Internetseite von „DK4“ unter: https://www.youtube.com/watch?v=X6AbCocePF0

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