Ernährung

Für den Klimaschutz: So wollen zwei Däninnen den Fleischmarkt umkrempeln

Für den Klimaschutz: So wollen zwei Däninnen den Fleischmarkt umkrempeln

So wollen zwei Däninnen den Fleischmarkt umkrempeln

Bernd Hauser/shz.de
Kopenhagen
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Malena Sigurgeirsdóttir und Jessica Buhl-Nielsen von „Hey Planet“ entwickeln Fleisch, das keines ist – aber so schmeckt. Foto: Hey Planet/shz.de

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Malena Sigurgeirsdóttir und Jessica Buhl-Nielsen von „Hey Planet“ treiben ihr Ziel mit wissenschaftlicher Gründlichkeit voran. Sie wollen, dass Hack, Hamburger und Klopse aus Insektenprotein selbstverständlich werden. Aber wie schmeckt das, was sie produzieren, tatsächlich nach Fleisch. Der Schleswig-Holsteinische Zeitungsverlag hat es probiert.

Eine Catering-Küche in Kopenhagen. Kessel und Pfannen sind hier so groß wie Whirlpools. Vor einer steht Malena Sigurgeirsdóttir bei dem Termin mit gewölbtem Bauch – mittlerweile ist ihr zweites Kind geboren. Mit ausgestreckten Armen wendet sie brutzelnde Klopse in der Größe von Tischtennisbällen. „Kødboller“ heißen sie.

Doch die Fleischklopse in der Pfanne bestehen nicht aus Rinderhack, sondern aus Erbsenmehl und zu 40 Prozent aus gemahlenen Larven des „Glänzendschwarzen Getreideschimmelkäfers“. Nun gilt es, unvoreingenommen zu probieren.

Die nachhaltige Frikadelle schmeckt wie eine echte

Malena Sigurgeirsdóttir und ihre Mitstreiterin Jessica Buhl-Nielsen, beide Anfang 30, planen Großes: Mit dem „ersten nachhaltigen Fleisch der Welt“ wollen sie den Klimawandel bremsen. Ihre These: Insekten können durchaus Rind, Schwein und Hühnchen ersetzen – weil die Produkte gut schmecken.

Sigurgeirsdóttir legt mir ein dampfendes Fleischbällchen auf den Teller. Ich zerteile es mit einer Gabel – es leistet nur sachten Widerstand. Wie bei einer herkömmlichen Frikadelle. Ich schiebe das erste Stück vorsichtig in den Mund – guter Biss eigentlich.

Und tatsächlich, da sind Umami-Noten, auch eine Ahnung von Eisen. Wenn ich es nicht besser wüsste – auch beim zweiten Stück würde ich nicht ahnen, dass ich auf einem Produkt aus Insekten kaue.

„Ich finde, es hat einen ganz eigenen Fleischgeschmack. Etwas, was es bisher noch nicht gab“, sagt Sigurgeirsdóttir. „Bei unserem Fleisch bekommst du einen Proteingehalt, der so hoch oder noch höher ist als bei Rinderhack“, ergänzt Buhl-Nielsen. „Außerdem Omega-3-Fettsäuren, Vitamin B₁₂ und Eisen, weshalb es so an Fleisch erinnert, das wir schon kennen.“

Nachhaltiges Essen für eine bessere Welt

Die beiden Gründerinnen haben vor fünf Jahren Hey Planet gegründet, ihr Start-up für Lebensmittel aus Insekten.

Ein Drittel der weltweiten Anbauflächen wird für die Produktion von Viehfutter verwendet. In der Europäischen Union sind es sogar 60 Prozent. Gleichzeitig hungern am Horn von Afrika, wo derzeit die schlimmste Dürre seit 40 Jahren herrscht, Millionen Menschen. „Es gibt ja schon die Lösung: pflanzliche Nahrung!“, sagt Sigurgeirsdóttir. „Aber die Menschen wollen auch tierisches Protein. Noch fehlen Insekten als Lösung im Bewusstsein von Verbrauchern.“

Sigurgeirsdóttir macht die Entwicklung, Buhl-Nielsen für die Strategie

Ende 2016 lernten sich die beiden Frauen kennen. Jessica Buhl-Nielsen hatte an der „Copenhagen Business School“ studiert und einen Master in „Gender and Development Studies“ draufgesetzt; sie wollte eine Karriere einschlagen, „die die Welt ein Stückchen besser macht“.

Das kam Malena Sigurgeirsdóttir gerade recht. Mit ihrem Enthusiasmus überzeugte sie Buhl-Nielsen bei einem Risotto mit gerösteten Grillen von ihrer Idee.

Seither ist Sigurgeirsdóttir für die Produktentwicklung zuständig, „und Jessica dafür, meine Ungeduld zu bremsen und unser Geschäft. strategisch voranzutreiben“, sagt Sigurgeirsdóttir.

Insektenprotein ist geschmacksneutral

Die Haupthürde dabei ist der Ekel, den die meisten Menschen den Krabblern mit sechs Beinen entgegenbringen. Dabei klingt es hygienisch, was Sigurgeirsdóttir von der vertikalen Farm in den Niederlanden erzählt, wo ihr Rohstoff herstammt: Die Larven werden bei 26 Grad Celsius und 60 Prozent Luftfeuchte ausschließlich mit Biertreber gefüttert. Getötet werden die Larven in Sekundenbruchteilen mit Wasserdampf, bevor sie getrocknet und vermahlen werden. In jedem Kilogramm Pulver stecken 16.000 Tierchen.

Neben dem Larvenhack vom Getreideschimmelkäfer bietet Hey Planet auch Knäckebrot und Energieriegel mit Heimchen an, einer Grillenart. Die Riegel munden nicht anders als herkömmliche Produkte. „Das Insektenprotein ist gefriergetrocknet und schmeckt neutral“, erklärt Sigurgeirsdóttir.

Warum schmecken die Insektenklopse dann so nach Fleisch? „Durch das Erhitzen in der Pfanne werden komplexe chemische Eisenverbindungen aktiviert, die den typischen Umami-Geschmack liefern.“

Die Idee kam Malena Sigurgeirsdóttir in Tansania

Nach dem Abitur arbeitete Malena Sigurgeirsdóttir als Lehrerin in Tansania und half ihrer Gastfamilie beim Sammeln von Grashüpfern. Dort war es üblich, damit die täglichen Mahlzeiten mit Maisbrei aufzupeppen.

Als sie nach Europa zurückkam, „hatte ich das Gefühl, einen Schlüssel für eine nachhaltige Ernährung gefunden zu haben“. Dazu berichtet sie auf Instagram:

Sie machte einen Bachelor in Umweltökonomie in Kopenhagen und einen Master in Lebensmittelwissenschaft an der Cornell University in New York, bevor sie mit Jessica Buhl-Nielsen Hey Planet gründete.

Fleischersatz, nicht Pflanzenbratling und zum Patent angemeldet

Sie bekamen umgerechnet 106.000 Euro Fördermittel vom staatlichen Innovationsfonds und machten an Extrudern im Dänischen Technologischen Institut erste Versuche. Drei Jahre dauerte der Prozess. Sie experimentierten mit Druck, Temperatur, Wasserbeimischung und dem Verhältnis von Insekten- zu Erbsenpulver, dem zweiten Hauptbestandteil. „Wir wollten die Textur von Fleisch erreichen“, sagt Sigurgeirsdóttir.

Für ein authentisches Erlebnis von Fleisch sei die Konsistenz fast wichtiger als der Geschmack: „Der Mund will arbeiten, er will etwas zu kauen haben, er braucht das richtige Maß an Widerstand.“ Ihren Herstellungsprozess haben die Frauen bei den dänischen Behörden zum Patent angemeldet.

Hey Planet-Produkte bislang nur begrenzt in Supermärkten zu erhalten

In Dänemark kann man die Energieriegel von Hey Planet in der Supermarktkette Irma kaufen – in Deutschland in einigen ausgewählten Läden und im Website-Shop. Die Pattys, Hack und Fleischbällchen gibt es für deutsche Verbraucher noch nicht.

Bislang liefert Hey Planet die 240-Gramm-Packungen für 39 Kronen (5,20 Euro) lediglich an Endkunden in Kopenhagen aus. Es mache noch keinen Sinn, das Insektenfleisch in die Kühlregale der Supermärkte zu bringen, erklärt Jessica Buhl-Nielsen. Zunächst gehe es darum, „die Barriere in den Köpfen zu knacken“, damit das Produkt in den Regalen nicht liegenbleibe und von den Supermarktketten wieder aussortiert werde. „Ein Jahr geben wir jetzt Vollgas, schaffen Öffentlichkeit in Kooperationen mit bekannten Köchen und Restaurants.“

In fünf Jahren: Insekten-Produkte überflügeln Schwein und Rind

In fünf Jahren, glaubt Buhl-Nielsen, würden ihre Produkte „ein ganz gewöhnliches Lebensmittel sein“, Schwein oder Rind dagegen als Delikatesse gelten, die man maximal noch einmal pro Woche isst.

Wunschdenken? „Es kann nicht anders sein, die Verschwendung ist nicht tragfähig“, sagt Sigurgeirsdóttir. Bei der Produktion von einem Kilogramm Hackfleisch aus dänischem Rind gehe die gleiche Menge Klimagase in die Luft wie bei einer Autofahrt von Kopenhagen nach Hamburg. Laut der Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen sind 20 Kilogramm Futter nötig, damit ein Rind ein Kilogramm Protein ansetzt. „Dagegen brauchen Insekten so gut wie keine Ressourcen.“ Ein Kilogramm Insektenprotein lasse sich mit 1,7 Kilogramm Futtermittel produzieren.

Wahrscheinlich steht und fällt ihre Firma mit diesem Wunschziel: „Wir hoffen darauf, dass die Herkunft von Insektenprotein irgendwann vergessen wird. Dass man es nur noch als Zutat sieht, die Lebensmittel bereichert.“ Wie bei Gummibärchen. Da denke auch kaum jemand daran, dass die Grundstoffe aus Rinderknochen ausgekocht werden.

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