Neue Regierung

Frühverrentung wurde in letzter Minute gestrichen

Frühverrentung wurde in letzter Minute gestrichen

Frühverrentung wurde in letzter Minute gestrichen

cvt/Ritzau
Kopenhagen
Zuletzt aktualisiert um:
Mette Frederiksen hat die Mehrheit in Sachen Frühverrentung gegen sich. Foto: Mads Claus Rasmussen / Ritzau Scanpix

Bis fast zuletzt hielten die Sozialdemokraten in den Verhandlungen mit ihren Mehrheitsbeschaffern an Mette Frederiksens Wahlkampf-Plan fest: Arbeitnehmer sollten vermehrt die Chance bekommen, sich wegen Verschleiß vom Arbeitsmarkt zurückzuziehen. Doch daraus wurde nichts.

Arne, Lotte, May-Britt, Finn und Katrine. So hießen einige der Gesichter, mit denen die Sozialdemokratie ihre Kampagne für einen frühzeitigen Rückzug vom Arbeitsmarkt bewarb.

„Jetzt ist Arne an der Reihe. Die besonders Verschlissenen sollen auch das Recht auf eine würdevolle Rente haben“, war zum Beispiel auf dem Plakat der Partei mit dem 59-jährigen Bauarbeiter Arne Juhl zu lesen.

Noch am Tag vor der Verkündung war die Frühverrentung Teil der Absprache

Der Plan war eines der ganz großen Wahlkampfthemen der Sozialdemokraten. Und auch in den Verhandlungen mit den Parteien Radikale Venstre, Sozialistische Volkspartei und Einheitsliste, die die Sozialdemokratin Mette Frederiksen zur neuen Regierungschefin wählen sollten, hatten sie hohe Priorität – bis kurz vor Toresschluss.

Das zeigt ein Entwurf der Übereinkunft der vier Parteien vom 24. Juni, einen Tag vor der endgültigen Übereinkunft, der der Tageszeitung „Jyllands-Posten“ vorliegt.

Darin heißt es, dass eine neue Regierung dafür arbeiten werde, dass „verschlissene Arbeitnehmer bessere Möglichkeiten erhalten, sich in Würde vom Arbeitsmarkt zurückzuziehen“.

Kein Wort mehr davon im endgültigen Papier

Doch die Sozialdemokraten mussten sich beugen. Die Unterstützer-Parteien verweigerten die Zustimmung und die Frühverrentungspläne wurden aus dem Papier gestrichen, das am späten Dienstagabend der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Dort war kein Wort mehr über die verschlissenen Arbeitnehmer zu lesen.

Die neue Staatsministerin Frederiksen und ihr neuer Beschäftigungsminister Peter Hummelgaard haben dennoch seither wiederholt darauf hingewiesen, dass die Frühverrentung für die sozialdemokratische Minderheitsregierung höchste Priorität habe.

Die ehemalige Sozialdemokratin Noa Redington, heute als politische Kommentatorin aktiv, sieht diesbezüglich allerdings so manchen Stein im Weg ihrer ehemaligen Partei.

Das Parlament setzt auf höheres Renteneintrittsalter

Die Mehrheit im neuen Folketing wolle von der erleichterten Frühverrentung nämlich nichts wissen. „Wie sollen sie das angehen, wenn sowohl die Dänische Volkspartei als auch die Radikalen sagen, dass sie nicht die Absicht haben, die Absprache, die jetzt vorliegt, zu brechen, und dass das erst nach einer Wahl geschehen könnte?“, fragt sie.

Die sozialliberale Radikale Venstre und die nationalkonservative Dänische Volkspartei sind beide dagegen, in dieser Wahlperiode ein differenziertes Renteneintrittsalter einzuführen.

Denn, so ihre Argumentation, das würde gegen die Wohlfahrtsübereinkunft (vælfærdsforliget) von 2006 verstoßen, in der sich das Parlament mehrheitlich darauf geeinigt hat, das Renteneintrittsalter anzuheben. Die bisherige Regierungspartei Venstre vertritt diesen Standpunkt ebenso.

Sozialdemokratische Pläne waren unkonkret

Noa Redington rät den Sozialdemokraten deshalb, schleunigst einen detaillierteren Vorschlag vorzulegen, wenn sie das Thema warm halten wollen: „Es ist noch völlig unklar, wie eine differenzierte Volksrente (folkepension) aussehen soll. Jetzt haben sie den Zugang zu den großen Rechenmaschinen bekommen, es könnte also sein, dass sie es den Wählern jetzt schulden, konkret zu benennen, wie das aussehen soll.“

Gewerkschaften hoffen weiter auf Frederiksen

Einige der Gewerkschaften, die die sozialdemokratischen Pläne unterstützt haben, sind bisher weiter mit an Bord.

Die Chefin der Gewerkschaft FOA, Mona Striib, zeigt sich übergeordnet zufrieden mit der Regierungsabsprache.

„Aber es ist ärgerlich, dass just dieses Element nicht mit in die Absbrache gekommen ist. Im Gegenzug vertrauen wir darauf, dass die Staatsministerin sich weiter dafür einsetzt“, sagt sie der Nachrichtenagentur Ritzau.

Der Gewerkschaftssekretär Søren Heisel von 3F glaubt denn auch weiter an eine Lösung: „Ich habe zur Kenntnis genommen, dass eine der ersten Sachen, die die Staatsministerin sagte, war, dass sie selbst sich an die Spitze einer Suche nach einer Lösung setzen werde.“

Sollte die nicht gefunden werden, wäre das Futter für alle, die Frederiksen beschuldigen, Wahlversprechen nicht gehalten zu haben, meint Noa Redington: „Wenn die Sozialdemokraten den Gedanken einer differenzierten Volkrente aufgeben müssen, wird sie das im nächsten Wahlkampf verfolgen.“

Minderheitsregierung

Von einer Minderheitsregierung spricht man in parlamentarischen Systemen, wenn die Fraktionen, welche die Regierung tragen, keine eigene Mehrheit im Parlament haben.

Zur Wahl der Regierung müssen deshalb Mehrheiten gemeinsam mit anderen im Parlament vertretenen Fraktionen (oder einzelnen Abgeordneten) gesucht werden. Die regelmäßige Unterstützung der Minderheitsregierung durch Fraktionen, die – im Gegensatz zum Modell einer Koalition – nicht selbst an ihr beteiligt sind, wird als Tolerierung oder Duldung der Regierung durch diese Fraktionen bezeichnet. Eine solche Tolerierung wird meist im Vorfeld der Regierungsbildung mit den tolerierenden Fraktionen vereinbart, um eine gewisse Stabilität sicherzustellen.

Quelle: Wikipedia

Folketingssaal auf Christiansborg

Vergleich, Absprache, Übereinkunft: So wird in Dänemark Politik gemacht

Vergleich, Absprache, Übereinkunft: Drei Begriffe, die im Kern den gleichen Vorgang beschreiben. Nämlich den, dass sich im Parlament, dem Folketing, fraktionsübergreifend auf festgelegte Rahmenbedingungen zu einem Thema geeinigt wurde.

In Dänemark wird für die fraktionsübergreifende Übereinkunft, hinter der die Mehrheit des Parlamentes steht, zumeist der Begriff „forlig“ (Vergleich) genutzt. Beim „Nordschleswiger“ übersetzen wir dies häufig mit den im Deutschen gängigeren Begriffen Übereinkunft oder Absprache.

Was steckt dahinter?

In Dänemark wird die offizielle Politik zwar nach innen und außen von der Regierung und ihren Ministern gestaltet und vertreten – doch ohne die Mehrheit im Folketing ist die Regierung nur sehr eingeschränkt handlungsfähig. Wie in Skandinavien üblich – und anders als in der bundesdeutschen Tradition – hat die Regierung in Dänemark aber nicht immer eine parlamentarische Mehrheit („Minderheitsregierung“).

Das bedeutet, dass sie auf die Zustimmung von Fraktionen angewiesen ist, die der Regierung nicht angehören.

Deshalb lädt die jeweilige Regierung laufend zu bestimmten Politikbereichen  Vertreter anderer Fraktionen zu Verhandlungen.

Das Ziel: Breite Absprachen mit langer Haltbarkeit

Häufig werden zunächst die Fachsprecher aller Fraktionen eingeladen. Ziel ist es, möglichst viele Fraktionen hinter einer Absprache zu sammeln, um eine breite Mehrheit im Folketing für die politischen Vorhaben zu sichern – und um die festgelegte Politik somit langfristig abzusichern.

Dabei kann es auch vorkommen, dass sich in den Verhandlungen, die außerhalb des Folketingssaales laufen, eine Mehrheit für ein Vorhaben findet, der die Regierung nicht angehört. So kommt es, dass in Dänemark auch Politik gegen den Willen der Regierung geführt werden kann.

Das Parlament kommt erst nach der Übereinkunft voll zum Zuge

Hat sich bei den Verhandlungen eine stabile Mehrheit für einen Rahmenplan entschieden – zum Beispiel zu den Themen Verteidigungspolitik, Schulreform, Medien- oder Rentenpolitik, wird diese Übereinkunft in Form von einem oder mehreren Gesetzesentwürfen ins Folketing getragen. Dies kann zügig geschehen – es kann aber auch Monate und Jahre, nachdem die Übereinkunft getroffen wurde, noch Gesetzesinitiativen geben, die sich auf die Übereinkunft berufen.

Da zwischen den Fraktionen zuvor im Zuge der Verhandlungen die Zustimmung zugesichert wurde, steht diese Zustimmung in den meisten Fällen – und wenn sich die Abgeordneten an die Fraktionsdisziplin halten – fest.

Keine rechtliche Bindung

Diese Praxis ist nirgends formal festgehalten. Es gibt also auch keine offiziellen Bestimmungen, wie eine Übereinkunft auszusehen hat. Die Fraktionen binden sich dementsprechend nicht rechtlich – aber in hohem Maße politisch – daran, die gemeinsam beschlossenen Rahmenbedingungen für die vereinbarte Laufzeit der Übereinkunft einzuhalten.

Ein jährlich wiederkehrendes Beispiel für eine solche Absprache mit kurzer Laufzeit ist der Haushalt für das jeweils kommende Jahr. Längerfristig angelegte Absprachen gibt es beispielsweise im Bereich der Schulpolitik.

cvt

 

 

Mehr lesen