Immunität

Debatte um Hjort-Fall wirft grundlegende Fragen auf

Debatte um Hjort-Fall wirft grundlegende Fragen auf

Debatte um Hjort-Fall wirft grundlegende Fragen auf

Ritzau/nb
Kopenhagen
Zuletzt aktualisiert um:
Der Generalstaatsanwalt empfiehlt eine Anklage gegen Claus Hjort Frederiksen. Letzten Endes obliegt es dem Justizminister, darüber zu entscheiden. Foto: Mads Claus Rasmussen/Ritzau Scanpix

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Die politischen Parteien sind unterschiedlicher Auffassung in der Frage, ob das Folketing auf Grundlage der vorliegenden Informationen zu den Vorwürfen gegen Claus Hjort Frederiksen überhaupt über dessen Immunität abstimmen kann. Nach Auffassung eines Experten für Strafrecht ist die dänische Verfassung auf eine solche Situation nicht vorbereitet.

Der Vorsitzende der Konservativen, Søren Pape Poulsen, lehnt es ab, nach einem Treffen mit Justizminister Mattias Tesfaye (Soz.) Stellung zu der Frage zu beziehen, ob er sich für oder gegen eine Aufhebung der parlamentarischen Immunität des ehemaligen Verteidiungsministers Claus Hjort Frederiksen (Venstre), dem die Weitergabe von Staatsgeheimnissen vorgeworfen wird, ausspricht.

Der Generalstaatsanwalt hatte vergangenen Donnerstag eine Anklageerhebung wegen Landesverrats gegen Hjort empfohlen.

Von prinzipieller Bedeutung

Gegenüber „Politiken“ sagt Pape, dass „hier einige sehr grundlegende Prinzipien auf dem Spiel stehen“, wenn das gesamte Folketing über den genaueren Inhalt der Vorwürfe informiert werden solle.

„Sofern das Folketing der Auffassung ist, dass man von seinen Kolleginnen und Kollegen im Folketing in Schutz genommen werden muss, je geheimer verfügbare Informationen sind, dann finde ich, haben wir ein großes Problem“, so Pape.

Claus Hjort Frederiksen hatte selbst mitgeteilt, dass ihm die Weitergabe von Staatsgeheimnissen vorgeworfen wird. Als Abgeordneter des Folketings ist er jedoch aufgrund seiner Immunität vor Strafverfolgung geschützt.

Aus diesem Grunde müsste das Folketing Hjorts Immunität zunächst aufheben, damit die Staatsanwaltschaft den Fall vor Gericht bringen kann.

Forderung nach genaueren Informationen

Venstre, die Einheitsliste, Dänische Volkspartei, Liberale Allianz und Neue Bürgerliche haben alle gefordert, dass ihre Abgeordneten über den Inhalt der Vorwürfe informiert werden müssen, sofern sie über eine Aufhebung der Immunität abstimmen sollen.

Diese Forderung hat der Justizminister jedoch mit Verweis auf die Vertraulichkeit der Informationen zurückgewiesen.

Nach dem Treffen mit Tesfaye sagte Pape mit Verweis auf den nachrichtendienstlichen Ausschuss des Folketings, in dem fünf Abgeordnete sitzen, die als einzige Parlamentarier Zugang zu streng vertraulichen Informationen haben, dass dieser dann abgeschafft werden könne.

„Wenn jeder vertrauliche Informationen für sich behalten kann, können wir ja die Informationen einfach für alle offen legen“, so Pape ironisch.

Er habe eine „sehr klare Haltung“ in der Angelegenheit. Allerdings will er sich zunächst mit seiner Fraktion treffen, ehe er diese öffentlich mitteile.

Dies ist wohl eine Situation, die die Väter des Grundgesetzes nicht vorhergesehen haben.

Jørn Vestergaard, Professor Emeritus für Strafrecht an der Universität Kopenhagen

Verfassung sieht einen solchen Fall nicht vor

Nach Einschätzungen von Sten Schaumburg-Müller, Professor für Medienrecht und Professor Emeritus für Strafrecht an der Süddänischen Universität, sowie Jørn Vestergaard, Professor Emeritus für Strafrecht an der Universität Kopenhagen, bringt die fehlende Kenntnis über den Inhalt der an Hjort gerichteten Vorwürfe das Folketing in eine höchst ungewöhnliche Situation.

Deshalb sei es sehr schwierig vorherzusagen, inwieweit Anklage gegen den ehemaligen Verteidigungsminister erhoben werden könne.

„Jetzt steht und fällt ein Verfahren gegen Claus Hjort damit, ob eine Mehrheit im Folketing grünes Licht geben will, um seine parlamentarische Immunität aufzuheben, ohne dabei den genauen Inhalt der Anklage zu kennen. Dies ist wohl eine Situation, die die Väter des Grundgesetzes nicht vorhergesehen haben“, schreibt Jørn Vestergaard in einem Kommentar.

Nicht mit früheren Fällen vergleichbar

Sten Schaumburg-Müller meint, dass das Folketing üblicherweise die Aufhebung der Immunität beschließt, allerdings können seiner Auffassung nach frühere Fälle nicht mit dem aktuellen Fall verglichen werden.

„Das Folketing hat normalerweise die vernünftige Haltung, dass man bestraft werden muss, sofern man eine kriminelle Handlung begangen hat. Aber ob das Folketing einen solchen Entschluss trifft, ist zweifelhaft – insbesondere, wenn es nicht erfahren kann, worauf sich die Vorwürfe genau beziehen“, so der Strafrechtsexperte.

Sofern es keine Mehrheit für die Aufhebung der Immunität gibt, kann auch keine Anklage erhoben werden, solange Claus Hort Frederiksen Abgeordneter des Folketings ist.

„Möglicherweise kann man sich vorstellen, dass Anklage nach einer Folketingswahl erhoben wird. Aber das würde unschön aussehen“, so Vestergaard.

Einschaltung des Folketingspräsidiums gefordert

Karen Ellemann (Venstre) forderte, dass das Präsidium des Folketings sich mit der Angelegenheit beschäftigen und sicherstellen müsse, dass allen Abgeordneten die notwendigen Informationen zur Verfügung gestellt werden, wofür die Regierung den ehemaligen Minister anklagen will. Dies sagte sie gegenüber „Politiken“.

Ellemann ist selbst Mitglied des Präsidiums.

„Wenn wir so eine schwierige Angelegenheit haben, in der die Regierung ein Mitglied des Folketings anklagen will, dann ist es wichtig, dass wir wissen, worum es eigentlich geht. Weshalb sollten wir sonst überhaupt Immunität genießen“, sagt Karen Ellemann zu „Politiken“.

Ball an Justizminister und Parteivorsitzenden weitergespielt 

Der Vorsitzende des Folketings, Henrik Dam Kristensen (Soz.), schreibt in einer Stellungnahme an „Politiken“, dass er erwarte, dass Justizminister Mattias Tesfaye und die Vorsitzenden der Parteien eine Lösung finden.

Tesfaye hatte mitgeteilt, dass die Fraktion der Sozialdemokraten geschlossen für eine Aufhebung der Immunität Hjorts stimmen wolle.

Mehr lesen

Leitartikel

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
„Europäischer Erdrutsch“