Regierungsbildung

Analyse: Mehr Reform als erwartet

Analyse: Mehr Reform als erwartet

Analyse: Mehr Reform als erwartet

Kopenhagen
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Sie haben sich viel vorgenommen: Jakob Ellemann-Jensen, Mette Frederiksen und Lars Løkke Rasmussen Foto: Mads Claus Rasmussen/Ritzau Scanpix

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In fast allen gesellschaftlichen Bereichen plant die neue dänische SVM-Regierung Änderungen. Setzt sie diese tatsächlich um, wird sich die dänische Gesellschaft dauerhaft ändern.

Die Erfahrungen mit breiten Regierungen über die Mitte hinweg sind in Dänemark weder umfassend noch gut. Wobei ersteres eng mit zweiterem zusammenhängt.

Nur einmal (wenn man von der Allparteienregierung in den Monaten nach dem Zweiten Weltkrieg absieht) haben die Sozialdemokratie und Venstre gemeinsam eine Regierung gebildet. Die Erfahrungen der SV-Regierung aus dem Jahr 1978, haben bislang nicht zu einer Wiederholung animiert: Nach nur 14 Monaten musste die Koalition aufgrund interner Querelen hinschmeißen.

Reform oder Stillstand

In Deutschland hat man deutlich mehr Erfahrung mit großen Koalitionen. Zum Nachahmen animieren diese jedoch auch nicht unbedingt. Was an der schwarz-roten Koalition unter Angela Merkel (CDU) als Stabilität gelobt wurde, hat sich immer deutlicher als Stillstand herausgestellt.

Wenn zwei Parteien mit sehr unterschiedlicher Politik eine Regierung bilden, besteht immer das Risiko, dass Kompromisse von der faulen Sorte eingegangen werden. Die Parteien verwenden mehr Energie aufeinander zu lauern, als notwendige politische Projekte umzusetzen.

Die Fürsprecherinnen und Fürsprecher für eine breite Regierung in Dänemark erhofften und erhoffen sich von ihr das Gegenteil, nämlich Reformen. Eine Selbstverständlichkeit ist das nicht: Sind doch die Sozialdemokratie und die rechtsliberale Bauernpartei Venstre seit hundert Jahren die politischen und ideologischen Gegenpole der dänischen Politik.

Umfassendes Regierungsprogramm

Sechs Wochen haben die sozialdemokratische Vorsitzende Mette Frederiksen und Venstre-Chef Jakob Ellemann-Jensen gebraucht, um sich zu finden. Dabei hat der Dritte im Bunde, Moderaten-Chef Lars Løkke Rasmussen keine ganz unwesentliche Rolle gespielt. Er hatte bereits 2019, damals noch als Venstre-Häuptling, die Diskussion über die blockübergreifende Regierung angestoßen.

In dem Koalitionsvertrag, den die drei Parteichefs am Mittwoch präsentierten, sind eine ganze Reihe von großen Reformvorhaben enthalten. Gesundheit, Ausbildung, Steuern, Arbeitsmarkt, Seniorenpolitik, ja den gesamten Wohlfahrtsbereich wollen sie neu überdenken.

Man hätte befürchten können, dass die Absprache vorwiegend Eingeständnisse der Sozialdemokratie an Venstre in Einzelfragen beinhalten würde. Das Beispiel der geplanten Steuerreform zeigt, wie die drei Parteien aus den unterschiedlichen Forderungen ein Paket geschnürt haben.

Eine Prise rot und eine Prise blau

Eine Erleichterung des Spitzensteuersatzes ist klassische bürgerliche Politik, die bei echten roten Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten Schaudern auslöst. Jetzt will die Regierung die Spitzensteuern für Einkommen zwischen 750.000 Kronen und 2,5 Millionen Kronen halbieren – also blau. Dafür wird der Spitzensteuersatz für Einkommen über 2,5 Millionen Kronen deutlich angehoben – also rot.

Ähnliches zeigt sich bei der geplanten Reform des öffentlichen Services. Frederiksen hat bereits in der vergangenen Legislaturperiode mehrfach dafür plädiert, dass zu detaillierte Regeln zum Beispiel in der Seniorenpflege oder für die Schulen abgeschafft gehören. Das finden wir im Regierungsprogramm wieder. Doch auch die Absicht, dass die Bürgerinnen und Bürger in höherem Maß frei zwischen öffentlichen und privaten Angeboten wählen können sollen. Mit der Forderung waren die bürgerlichen Parteien in den Wahlkampf gezogen.

Gesundheitsreform vertagt

Doch nicht in allen Bereichen ließen sich die unterschiedlichen Positionen in ein Reformprojekt gießen. Die Diskussion über die Abschaffung der Regionen wurde vertagt. Eine „Gesundheitsstrukturkommission“ soll Vorschläge für die Zukunft des Gesundheitswesens unterbreiten. Wenn diese vorliegen, muss sich zeigen, ob die Einigkeit, die Frederiksen, Ellemann und Løkke am Mittwoch demonstrierten, Bestand hat.

Dies gilt insgesamt, wenn der politische Alltag die schönen politischen Erklärungen von Marienborg ablöst. Pläne wollen schließlich auch umgesetzt werden, und der Teufel liegt bekanntlich häufig im Detail.

Die Ausgangslage für die Reformprojekte scheint nicht schlecht zu sein. Die Stimmung zwischen den Dreien wirkte am Mittwoch ausgesprochen gut. Während des Verhandlungsmarathons haben sie ein gegenseitiges Vertrauen aufgebaut.

 

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