Leitartikel

„Toller Plan: Die Wirtschaft will verschuldete Berufseinsteiger“

Toller Plan: Die Wirtschaft will verschuldete Berufseinsteiger

Toller Plan: Wirtschaft will verschuldete Berufseinsteiger

Apenrade/Aabenraa
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Studienkredite statt Studienförderung und kein Geld mehr für ausländische Studierende: Die Debatte um das dänische Hochschulwesen zeigt mal wieder, dass es Verbänden und Politik nicht um die Sache, sondern um eigene Interessen geht, meint Cornelius von Tiedemann.

Wenn es nach dem Arbeitgeberverband Dansk Erhverv geht, sollen in Zukunft hoch qualifizierte Berufseinsteiger in Dänemark mit der Last eines abzuzahlenden Studienkredites auf den Schultern ins Berufsleben einsteigen. Der Verband will Studierenden der höheren Semester, jenen, die einen Master-Abschluss anstreben, keine staatliche Ausbildungsförderung SU mehr zukommen lassen.

Dadurch würde viel Geld  für das Ausbildungssystem frei werden, argumentieren die Arbeitgeber.

Doch was vor allem passieren würde: Die Ungleichheit, die in Dänemark seit Jahren um sich greift, würde weiter zunehmen.

Die regierenden Sozialdemokraten sehen immerhin das ein – machen aber, ganz Frederiksen-Linie, sogleich einen Nebenkriegs-Schauplatz auf und hauen auf ihren Lieblings-Sündenbock, den Nicht-Dänen (auch Ausländer genannt). Ausländer, die in Dänemark studieren und SU beziehen, gehören abgeschafft, finden sie. Sie sollen gefälligst selber zahlen oder wegbleiben.

Auch diese Forderung ist kurzsichtig und tut vielleicht dem  Gerechtigkeitsempfinden geistiger Kleinbürger gut – der dänischen Gesellschaft aber keineswegs. Im Gegenteil.

Natürlich haben die Arbeitgeber irgendwie recht, wenn sie sagen, dass der Staat mehr Geld für Bildung zur Verfügung hätte, wenn er kein SU an Master-Studierende geben würde. Er hätte aber auch mehr Geld dafür, wenn er zum Beispiel keine unausgereiften und überteuerten Kampfflugzeuge in den USA bestellen oder anderen Unsinn unterlassen würde. Die Ausgaben für Bildung isoliert zu betrachten, zeugt von begrenztem Vorstellungsvermögen – oder begrenztem Willen, tatsächlich umfangreich in Bildung zu investieren.

Dass es den Arbeitgebern in den Kram passen würde, verschuldete Berufseinsteiger zu generieren, kann, wer die zynische Brille aufsetzt, durchaus nachvollziehen.

Wer Schulden hat, hat wenig Anlass, sich mit – kurzsichtig betrachtet – ertragsarmen geisteswissenschaftlichen Studienfächern, die das kritische Denken fördern, zu befassen. Wer einen Studienkredit aufnimmt, der wird mit höherer Wahrscheinlichkeit eine handfeste Qualifikation anstreben, die den Arbeitgebern unmittelbare Wertschöpfung verspricht.

Das ist ökonomisch betrachtet auf den ersten Blick sinnvoll. Doch eine Gesellschaft wie Dänemark lebt nicht von stromlinienförmiger Angepasstheit – sie lebt vom freien Geist. Vom schuldenfreien Geist.  
 
Den werden sich, wenn es nach Dansk Ervherv geht, bald nur noch die Kinder gut situierter Eltern leisten können, die ihr Studium von Mor und Far geschenkt bekommen. Der Rest macht Schulden.

Und zu den Sozialdemokraten und ihrem ewigen Reflex, den Ausländern sämtliche Schuld (und Schulden) in die Schuhe schieben zu wollen:

Der Verband der dänischen Universitäten hat vor einigen Jahren ausgerechnet, dass die kostenlos im Lande studierenden Ausländer das Geld wert sind. Acht Jahre nach dem Abgang hat ein ausländischer Absolvent im Schnitt fast 800.000 Kronen zur Gesamtökonomie beigetragen. Und da sind schon alle Kosten für Ausbildung, Gesundheit und Sozialausgaben abgezogen.

Dass Dänemark auch seine höheren Semester konsequent finanziert, egal ob sie dänische oder ausländische Staatsbürger sind, ist allein ökonomisch ein Milliardengewinn für die Gesellschaft. Was es für die Wissenschaft und die Kultur im Lande – und international – bedeutet, ist in Zahlen gar nicht zu bemessen.

Vielleicht haben die Ökonomen vom Arbeitgeberverband deshalb keine Vorstellung davon, was sie da zerschlagen wollen.

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