Leitartikel

„Venstre: Mit dem Eigenheim für alle zurück an die Wurzeln“

Venstre: Mit dem Eigenheim für alle zurück an die Wurzeln

Venstre: Mit dem Eigenheim für alle zurück an die Wurzeln

Apenrade/Aabenraa
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Jakob Ellemann-Jensen
Eigentum im Venstre-Land auch für weniger Betuchte schaffen: Jakob Ellemann-Jensen setzt auf klassische bürgerliche Politik. Foto: Martin Sylvest/Ritzau Scanpix

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Venstre steht unter Druck: Støjberg und Løkke klauen Wählerinnen und Wähler, die ohnehin gerade zu Konservativen und anderen abzuwandern drohen. Die Antwort der Partei: Klassische bürgerliche Sozialpolitik nach dem Motto Eigentum schützen, Steuern runter. Cornelius von Tiedemann fragt sich, ob das reicht.

Støjberg und Løkke haben in den vergangenen Wochen und Monaten die Nachrichten dominiert – jetzt will sich die bürgerliche Mutterpartei Venstre mit einem Programm zum Thema Wohnen auf der politischen Tagesordnung zurückmelden.

Drei Milliarden Kronen sollen abgesetzt werden, um Verkehrslärm zu minimieren, der die Grenzwerte übersteigt. Schließlich gefährde das die Gesundheit.

Außerdem sollen Steuererleichterungen für den ersten Immobilienkauf und für den Hauskauf in den ländlichen Räumen her. Also dort, wo es Häuser zu kaufen gibt, die eine Million Kronen und weniger kosten.

Venstre will auch dafür sorgen, dass 122.000 neue Eigentumswohnungen gebaut werden und Kommunen belohnen, die mehr Baugrundstücke ausschreiben, als das Wachstum der Kommune es hergibt.

Das ist alles ganz unaufgeregtes Venstre-Klassik. Und mit bürgerlicher Brille auf der Nase sind das, obwohl nicht unbedingt revolutionär, durchaus durchdachte Lösungen für dringliche Alltags-Probleme abseits der großen Überschriften.

Venstre liefert also das, worauf die neuen Parteien der Ex-Venstre-Spitzen noch verzichten. Sie wollen sich erstmal hauptsächlich dadurch profilieren, neu und eben nicht Ellemann zu sein.

Dessen nun vorgestellte Lösungen bewegen sich wenig überraschend innerhalb eines festen bürgerlichen Denkmusters, in dem Eigentum und niedrige Steuern Grundpfeiler sind.

Doch sind dies noch die Lösungen, die jetzt und in Zukunft gebraucht werden?

Wo doch viele junge Menschen deutlich flexiblere Leben leben wollen (und müssen) als ihre Eltern- und Großelterngeneration, wo es einer größer werdenden Zahl an Menschen, auch solchen aus bürgerlichen Haushalten, nicht mehr auf Eigentum, sondern vor allem auf Freiheit ankommt?

Sicher ist, dass die Bedürfnisse dieser Menschen im bürgerlichen Lager derzeit kaum Widerhall finden.

Immerhin: Jakob Ellemann-Jensen und Co. wollen Autobahnen überdeckeln, wie es in München und Hamburg zum Beispiel schon flächendeckend und auf Amager schon auf einem kleinen Abschnitt geschehen ist. Das klingt grün. Das dürfte die Radikalen freuen.

Solche Ideen sorgen zwar nicht dafür, die Ursache des Lärms, den sie minimieren sollen, zu bekämpfen – die zu hohen Prozentsätze vermeidbaren Autoverkehrs – doch sie schaffen immerhin wertvollen Ersatz für ansonsten versiegelte Natur.

Und sie steigern naturgemäß auch den Wert umliegender, oft nicht unbedingt hochpreisiger Immobilien. Und dass Venstre zudem im unteren Bereich Immobilienbesitz fördern will, ist dann wirklich neu gedachte klassische bürgerliche Sozialpolitik.

Jedem soll es möglich sein, seine eigenen vier Wände zu haben, so das Credo.

Und auch wenn dies klima- und gesellschaftspolitisch nicht en vogue und womöglich nicht besonders nachhaltig ist: Die große Mehrheit der Menschen im Lande, das wage ich zu behaupten, träumt allen Fortschritts und aller eingangs genannten Tendenzen hin zur „Sharing Economy“, also dem geteilten oder kollektiven Konsum oder Besitz, zum Trotze weiter von Haus, Hund und Hyundai.

„Sharing Economy“, das gab es übrigens früher schon. Man denke nur an die Wohnungsbau-Genossenschaften. Oder die Landwirtschaft, wo sich die Andelsbønder, die Genossenschaftsbauern, gegen die Machtelite und das Großkapital verbündeten, um ihre Freiheit und Selbstbestimmung zu sichern.

Venstre war damals das politische Sprachrohr dieser Menschen. Mit dem Schritt, Eigentum auch für weniger Wohlhabende ermöglichen zu wollen, stellt sich die Partei wieder in diese Tradition.

Ob sie es angesichts der gestiegenen Konkurrenz aus dem eigenen Lager und der, aller Träume zum Trotze, veränderten Lebenswirklichkeit im 21. Jahrhundert, schafft, daraus eine Bewegung wie damals zu generieren, ist derweil mehr als fraglich und auch gar nicht beabsichtigt. Doch das Besinnen auf die eigenen Kernthemen und Werte stärkt die eigene Position.

Und in der derzeitigen Lage wäre Ellemann sicherlich schon damit zufrieden, mit seiner Venstre-Klassik-Politik wenigstens Wählerinnen und Wähler auf seiner Seite halten zu können. 

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