Leitartikel

„Übertritt statt Rücktritt?“

Übertritt statt Rücktritt?

Übertritt statt Rücktritt?

Nordschleswig/Apenrade
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In die Partei Venstre kehrt einfach keine Ruhe ein – dafür sorgt die Parteispitze schon selbst. Doch egal wer den derzeitigen Machtkampf gewinnt: Die Partei Venstre wird verlieren, meint Chefredakteur Gwyn Nissen.

Die alt-ehrwürdige Partei Venstre kommt einfach nicht aus der Krise heraus – im Gegenteil. Der bürgerliche Karren sinkt immer tiefer in den Sumpf, und es wird nun sogar von einer möglichen Spaltung der Partei gesprochen. Schuld daran ist ein erneuter Krach unter den Vorsitzenden.

Dabei war ein Streit 2019 zwischen dem damaligen Vorsitzenden Lars Løkke Rasmussen und seinem Vize Kristian Jensen der Auslöser der immer noch andauernden Krise. Løkke und Jensen brachten sich schließlich gegenseitig zu Fall.

Nun sollte Jakob Ellemann-Jensen wieder Ruhe und Frieden in den Laden bringen, doch schon bei der Wahl des zweiten Vorsitzenden begann es zu brodeln, als Inger Støjberg gewählt wurde. Sie erhielt die Unterstützung der Land-Bevölkerung und ist unter anderem in Ausländer-Fragen als Hardlinerin bekannt. Genau das kann sie jetzt allerdings zu Fall bringen.

Vor zwei Wochen veröffentlichte eine Untersuchungskommission einen Teilbericht zur illegalen Trennung von Asylantenpaaren, bei denen die Frau jünger als 18 Jahre war. Die Trennung soll von Støjberg seinerzeit initiiert worden sein, als sie Integrationsministerin war. Das Folketing hat nun Juristen damit beauftragt, zu untersuchen, ob die Anschuldigungen im Bericht schwerwiegend genug sind, um ein Reichsgerichtsverfahren gegen Inger Støjberg einzuleiten.

Ellemann sagte in einem Interview am Wochenende, dass er ein solches Verfahren unterstütze, falls die Juristen zu einem solchen Ergebnis kämen. Venstre baue auf Recht und Ordnung, so der Vorsitzende.

Dem Vorsitzenden geht es angeblich darum, dass Inger Støjberg freigesprochen wird. Doch Støjberg hat dies anders aufgefasst und fühlt sich von Ellemann hintergangen. In Wahrheit hält er sie krampfhaft auf Abstand, um nicht im Sog eines Reichsgerichtsverfahrens mit Støjberg abserviert zu werden.

Außerdem versucht Ellemann, als verantwortungsbewusster und handlungsorientierter Vorsitzender zu agieren, denn seit Monaten steht er in der Kritik: Er sei zu blass und würde während der Corona-Pandemie unter dem Krisenmanagement von Regierungschefin Mette Frederiksen medial verschwinden.    

Viele andere Politiker würden in Støjbergs Situation einen Schritt zurücktreten, um der Partei nicht zu schaden, doch auch hier erweist sich Støjberg als eine Kämpferin und Hardlinerin: Überzeugt von ihrer Unschuld, bleibt sie an der Parteispitze. Doch jetzt, wo ihr die Unterstützung des eigenen Vorsitzenden fehlt, kann sie zu einer Wahl gezwungen werden.

Einige politische Kommentatoren meinen sogar, dass es zu einer Trennung kommen kann, zumal Støjberg sich auf dem rechten Flügel der Partei befindet und derzeit in den rechts-populistischen Parteien – Dänische Volkspartei und Neuen Bürgerlichen – ihre eifrigsten Unterstützer findet. Übertritt statt Rücktritt?

Ellemann schlägt einen für seine Partei gefährlichen Kurs ein. Zwar könnte es mehr Ruhe innerhalb von Venstre geben, doch Støjberg hat in der Bevölkerung eine breite Anhänger-Schar, die ihr überall hin folgen würde, sei es bei einem Parteiwechsel oder bei der Gründung einer neuen Partei.

Es ist ein Spagat für Ellemann, der auf der einen Seite Støjberg auf Abstand halten muss, auf der anderen Seite aber weiß, dass seine Partei stark bluten würde, sollte die Politikerin sich gezwungen sehen, Venstre zu verlassen.

Venstres Umfragewerte sinken seit über einem Jahr immer weiter in den Keller, und egal wie der derzeitige Machtkampf ausgeht, drohen der Partei weitere Stimmenverluste. Venstre kämpft 2020 nicht nur mit dem Coronavirus, sondern auch mit sich selbst.

 

 

 

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