Leitartikel

„Krieg in Europa: Härte zeigen – und Schutz gewähren“

Krieg in Europa: Härte zeigen – und Schutz gewähren

Krieg in Europa: Härte zeigen – und Schutz gewähren

Apenrade/Aabenraa
Zuletzt aktualisiert um:

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Der Angriff Russlands wird Folgen haben – nicht nur militärische, wirtschaftliche und politische – sondern vor allem menschliche, meint Cornelius von Tiedemann. Er erinnert Dänemarks Regierung daran, den Worten der Regierungschefin auch Taten folgen zu lassen und den Menschen, die fliehen, Schutz anzubieten.

„Meine Gedanken sind bei der Bevölkerung der Ukraine“, schreibt Dänemarks Regierungschefin am Donnerstagmorgen auf Twitter.

Doch wird Mette Frederiksen auch danach handeln und ihre eiskalte Linie gegen alle, die auf der Flucht vor Chaos, Krieg und Verfolgung sind, für die Menschen aus der Ukraine ändern? Oder wird es bei den warmen Gedanken bleiben?

Tatsache ist, dass viele Menschen in der Ukraine die Koffer gepackt haben und packen. Sie reisen innerhalb des Landes – aber auch in Richtung Westeuropa. Wie viele es sind, ist am Donnerstagmittag noch nicht abzusehen.

Doch der Krieg ist hier, mitten in Europa. Und Dänemark muss, wie alle europäischen Länder, nicht nur Härte gegen Putin zeigen – sondern auch Mitmenschlichkeit für die Opfer seiner skrupellosen Attacken auf Völkerrecht, Werte und vor allem: Menschen.  

Ob es nun das Ziel Putins ist, die Ukraine zu destabilisieren und nur teilweise zu besetzen, um einen Nato-Beitritt zu verhindern – oder ob es darum geht, die Ukraine komplett zu unterjochen und zu einer Marionette Moskaus zu machen: Menschen werden fliehen vor den Folgen.

Nun ist die Ukraine kein Nato-Mitglied, weshalb es zunächst jedenfalls äußerst unwahrscheinlich ist, dass Dänemark und andere westliche Länder militärisch eingreifen werden. Doch die russische Invasion kann schnell eskalieren und schwerwiegende Folgen für uns haben, nicht nur durch steigende Energiepreise.

Viele EU- und Nato-Länder grenzen an Russland und die Ukraine. Und wenn Putin davon spricht, dass Lenins Anerkennung der Grenzen von 1917 ein Fehler war, werden auch die Menschen im Baltikum und sogar in Finnland nervös. Sie fragen sich: Reicht es Putin, die Ukraine militärisch auszuschalten, oder ist er auf Selbstmordmission gegen die Nato unterwegs?   

Wie auch immer: Die Sanktionen gegen Russland werden hart werden. Vor allem für die Menschen in Russland. Und zwar deshalb, weil das Land zwar über wichtige Rohstoffe verfügt, ansonsten aber wirtschaftlich eher Bettvorleger denn Tiger ist.

Wenn Russland die Ukraine besetzt, wonach es aussieht, dann werden Maßnahmen gegen Russland in Zukunft aber auch die Menschen in der Ukraine treffen.  

Deshalb ist es an der Zeit, dass die EU und der Westen insgesamt sich endlich auch dazu entscheiden, nicht nur die ohnehin darbende Bevölkerung und die megareichen Oligarchen zu treffen, die Putin protegiert. Denn die haben vor allem die Funktion, Putins Regime Glamour und Grandeur zu verleihen – oder sie bekommen auf den Deckel.  

Der Westen muss die politischen Eliten treffen, die Putins Machtsystem überhaupt erst möglich machen. Dann werden die Sanktionen auch Putin selbst treffen. Denn die Abgeordneten und (wenigen) Beraterinnen und (vielen) Berater Putins aus allen Teilen Russlands schwimmen in Geld, betrachten Europa heute als Urlaubs- und Shoppingresort und bilden, derart verwöhnt, Putins tatsächliche Machtbasis im Lande. Werden ihnen die Spielzeuge weggenommen, könnten sie beginnen, ihre Haltung gegenüber Putin zu überdenken.

Die dänische Gewerkschaft 3F unterdessen braucht keine Bedenkzeit: Sie sammelt bereits Geld und Güter für interne Vertriebene in der Ukraine und rechnet mit einer „humanitären Katastrophe“.

Viele Ukrainerinnen und Ukrainer sind Mitglied der Gewerkschaft, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Bereichen Baugewerbe, Nahrungsmittelproduktion, Industrie, Gastronomie und Transport vertritt. Dort sind viele Menschen aus der Ukraine in Dänemark fest oder als Saisonkräfte tätig – und tragen dazu bei, dass die dänische Wirtschaft brummt.

Die roten Unterstützerparteien der Regierung in Kopenhagen haben Frederiksen bereits dazu aufgefordert, einen Plan vorzulegen, wie Dänemark möglichen Flüchtlingen helfen will. Die Zeit dränge, mahnen sie.

Finnland hat früh am Donnerstag angekündigt, Flüchtlinge aufzunehmen. Es würde Dänemark gut zu Gesicht stehen, dasselbe zu tun – und seine Solidarität auch auf menschlicher Ebene zu zeigen.

Nachtrag:

Um 15:25 Uhr am Donnerstag-Nachmittag hat die Regierungschefin, auf Nachfrage, gesagt, dass Dänemark, zunächst humanitäre Hilfe in der Ukraine und dann in den Nachbarländern leisten werde. Dass man drittens aber auch Flüchtlinge aus der Ukraine „auf dänischem Boden unterbringen“ werde.  Auf erneute Nachfrage sagte sie, dass die Regierung an ihrem Ziel festhalte, keine Flüchtlinge aufzunehmen und Aufnahmezentren in Drittländern zu errichten. Sie erklärte, dass es sich bei der Ukraine aber um ein Land im Nahbereich handele, und das sei „etwas anderes“. Auf die Frage, ob, wenn die Pläne der Regierung bereits umgesetzt wären, ukrainische Flüchtlinge von der dänischen Regierung dann in ein Aufnahmezentrum in Ruanda geschickt werden würden, wollte Frederiksen nicht eingehen.

 

Mehr lesen

Leitartikel

Cornelius von Tiedemann
Cornelius von Tiedemann Stellv. Chefredakteur
„Wenn Minderheiten als Gefahr für andere dargestellt werden“

Ukraine-Krieg

Ecco bricht Schweigen zum Schutz der Angestellten

Tondern/Bredebro Die Unternehmensführung des nordschleswigschen Schuhkonzerns Ecco verteidigt die eigenen Geschäftsaktivitäten in Russland nach zwei Jahren des Schweigens in einer Pressemitteilung. Dies geschieht, nachdem der Venstre-Politiker Jan E. Jørgensen Ecco-Mitarbeitende mit Kollaborateuren des Zweiten Weltkriegs verglich, und die Angestellten dazu aufforderte, zu kündigen oder anderweitig gegen die Firmenpolitik zu protestieren.