Leitartikel

„Kampf bis zur Erschöpfung“

Kampf bis zur Erschöpfung

Kampf bis zur Erschöpfung

Nordschleswig/Sønderjylland
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Das dänische Gesundheitswesen steht vor einer kritischen Phase im Kampf gegen das Coronavirus. Dabei sind viele Mitarbeiter am Ende ihrer Kräfte. Sie wollen eine Anerkennung ihrer Arbeit, was sich bei den gerade begonnenen Tarifverhandlungen widerspiegeln wird, meint Chefredakteur Gwyn Nissen.

Wenn die jetzigen Corona-Maßnahmen Ende Februar in Dänemark (vielleicht) auslaufen, hat das Coronavirus uns fast ein Jahr lang im Griff gehabt. Zwölf Monate, in denen der Alltag für viele von uns auf den Kopf gestellt wurde. Für Kinder, Jugendliche, Eltern und Senioren, für Restaurant- und Cafébesitzer, Hoteliers und Touristiker und auch für Pflegepersonal, Krankenschwester und Ärzte war 2020 ein Prüfstein der ganz besonderen Art.

Vor allem die Mitarbeiter im Gesundheitswesen stehen seit März unter einem immensen Druck. Nicht ohne Grund hat man den „Helden in Weiß“ vielerorts in Europa zugejubelt, wenn sie abends erschöpft von ihrem Dienst an der Corona-Front nach Hause gekehrt sind.

Die Krisensituation war in Dänemark zwar nicht ganz so ausgeprägt wie in anderen Ländern, aber man sollte daraus keine falschen Schlussfolgerungen ziehen: Das dänische Gesundheitssystem arbeitet derzeit haarscharf an der Grenze des Möglichen.

Das Personal ist gestresst, frustriert – ja, einige Mitarbeiter sind auch zusammengebrochen oder selbst am Virus erkrankt. Damit besteht die Gefahr, dass unser Gesundheitssystem den eigentlichen Stresstest in diesem Winter nicht besteht. Denn während das Gesundheitspersonal zu Beginn der Covid19-Pandemie noch einigermaßen frisch in den Kampf zog, sieht es jetzt ganz anders aus: Vor dem zu erwartenden Patienten-Ansturm in den kommenden Wochen sind viele Mitarbeiter in den Krankenhäusern jetzt schon am Ende ihrer Kräfte.

Aus den Mitarbeitergruppen und den Gewerkschaften der Krankenhaus-Mitarbeiter kommt nun die verständliche Aufforderung, landesweit alle unnötigen Kontrollen, Untersuchungen und Behandlungen zu verschieben. Doch die Vorsitzende der dänischen Regionen, die das dänische Gesundheitssystem betreiben, Stephanie Lose (Venstre), mahnt zur Besonnenheit: Statt generell alles abzusagen, sollte man nur dort Absagen durchführen, wo es nötig ist – sonst würden sich die Aufgaben im Gesundheitswesen nur stauen.

Stephanie Lose weiß natürlich auch, dass hinter jeder verschobenen Operation oder abgesagten Behandlung auch ein Mensch steht, für den die ärztliche Versorgung einen besseren oder gar schmerzfreien Alltag bedeutet. Mit anderen Worten ist es eine Balance zwischen den Erwartungen der Patienten auf der einen und der Rücksichtnahme auf ein kaum mehr belastbares Personal auf der anderen Seite.

Dabei werden viele Patienten in der jetzigen Situation sicherlich Verständnis dafür haben, dass Krankenschwestern, Pfleger und Ärzte auch eine Pause brauchen. Vor allem jetzt, wo sie vor einem Berg neuer Aufgaben stehen.

Lose erahnt auch weitere Konsequenzen: Diese Woche beginnen die Tarifverhandlungen, und das Personal an Krankenhäusern und Pflegeheimen wird sich diesmal nicht mit Beifall und Schulterklopfen begnügen. Die Corona-Krise hat gezeigt, wer in diesen Monaten die wirklich wichtigen Aufgaben löst – bis zur Erschöpfung. Und jetzt kommt dafür die finanzielle Abrechnung (lies: Belohnung).

Sollten die Arbeitgeber – die Regionen und Kommunen – dies nicht anerkennen, dann besteht in den kommenden Jahren die Gefahr, dass enttäuschte Mitarbeiter das Gesundheitswesen verlassen – und neue erst gar nicht nachkommen. Damit würde das Coronavirus das Gesundheitswesen ein weiteres Mal lahmlegen.

 

 

 

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