Leitartikel

„Der Glaube an die Toleranz“

Der Glaube an die Toleranz

Der Glaube an die Toleranz

Kopenhagen
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Extremen Standpunkten sollte mit Worten, nicht mit dem Strafgesetzbuch begegnet werden, meint Walter Turnowsky. 

Am Ostersonntag, so erzählt es uns die Bibel, ist Jesus von Nazareth von den Toten auferstanden. Und ganz gleich, ob wir der Erzählung glauben, sie symbolisch verstehen oder mit der Kirche gar nichts am Hut haben, so ist die Frage, ob jener Zimmermannssohn uns nicht auch heute noch etwas zu sagen hat.

Und vielleicht ist es unter anderem dies: Der Gottessohn oder Revoluzzer, je nach Sichtweise, ist seinen Mitmenschen vorurteilslos begegnet. Bekanntlich hat er „Huren“ als mindestens ebenso wertvolle Menschen aufgefasst wie Hohepriester. Er ist allen Menschen auf Augenhöhe begegnet.

Wie ein Artikel über Hexen im „Nordschleswiger“ am Mittwoch zeigt, haben die Vertreter des Herren nicht immer diese Botschaft so ganz verstanden. Heute ist das zum Glück bei der überwiegenden Mehrheit der Pastoren anders. Aber jene, die sich allen anderen moralisch überlegen fühlen, gibt es auch noch. In dem Punkt sind Pastoren eben auch nur Menschen wie alle anderen. Es gibt solche und solche.

Die Botschaft der Toleranz finden wir auch in der nordischen Mythologie. „Gleiche Rechte für Loke wie für Thor“, lautet ein in Dänemark gängiger Spruch. Also gleiche Rechte für den eher zwielichtigen Loke wie für den Donnergott Thor, der sich sehr weit oben in der Hierarchie der Götter befindet. Loke ist noch nicht einmal vom Geschlecht der Götter, der Aser, sondern von deren Gegenspielern, den Jötunn (jætter).

Doch scheint dieser Gedanke von der Toleranz und Gleichbehandlung in Dänemark ein wenig in Vergessenheit geraten zu sein.

Gewiss, er ist nicht einfach zu praktizieren. Denn wie ist man tolerant, gegenüber den Intoleranten?

Und dennoch hat Dänemark vor noch nicht allzu langer Zeit gezeigt, wie es geht. Zum Beispiel als linksextremes Gedankengut in den 70er Jahren Teile der europäischen Jugend erfasste. Man ließ es zu, solange es bei den revolutionären Sprüchen blieb. 

In der damaligen Bundesrepublik wollte man dies Gedankengut durch hartes Durchgreifen unterbinden. Der Extremistenerlass, auch als Berufsverbot bekannt, war eine der Maßnahmen. Der „Erfolg“ waren 20 Jahre Terror der RAF.

Dänemark blieb dagegen vom linken Terror weitgehend verschont. Vielleicht sollte man sich dessen wieder im Umgang mit zum Beispiel Islamisten besinnen. Selbstverständlich soll man nicht naiv alles zulassen. Extremen Ansichten und Gewaltfantasien muss widersprochen werden.

Doch solange es bei Worten bleibt, sollte man dem mit Worten und nicht mit dem Strafgesetzbuch begegnen. Markige Sprüche vom harten Durchgreifen werden das Problem nicht lösen. Extremismus bekämpft man nicht, indem man junge Menschen, die über die Stränge schlagen, in die Arme von Extremisten treibt.

Plant jemand tatsächlich Anschläge, sind Polizei und Nachrichtendienst zuständig. Und die machen bislang ihre Sache in der Frage recht gut. Und wir sollten es ihnen gestatten, sich auf die wirklichen Täter zu konzentrieren.

Das Verbrennen einer Puppe, die Staatsministerin Mette Frederiksen darstellt, ist zwar abscheulich, ein Schwerverbrechen ist es nicht.

 

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