Leitartikel

„Bußgang“

Bußgang

Bußgang

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Apenrade/Aabenraa
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In Dänemark schlägt zurzeit die Abschaffung des Buß- und Bettages hohe Wellen. In Deutschland gibt es den gesetzlichen Feiertag bereits seit 1995 nicht mehr. Der ehemalige Chefredakteur Siegfried Matlok erinnert sich in seinem Leitartikel und zieht einen Vergleich zwischen den beiden Ländern.

Gemeinsamkeiten zwischen Dänemark und Deutschland gibt es ja in vielerlei Hinsicht. Ostern und Weihnachten feiern wir doch ganz selbstverständlich gemeinsam, und jetzt kommt noch eine Gemeinsamkeit hinzu: die Abschaffung des gesetzlichen Feiertages am Buß- und Bettag. In Deutschland schon längst geschehen, in Dänemark steht die Parlaments-Entscheidung kurz bevor. Weder die von der Opposition erwünschte Verschiebung auf das Ergebnis bei der nächsten Folketingswahl noch eine Volksabstimmung ist noch realistisch.  

Letzteres scheint jetzt unmöglich, weil das notwendige Quorum von 60 Abgeordneten nicht erreicht werden kann. Auch Parteien, die so gern am Buß- und Bettag festhalten wollen, haben inzwischen kalte Füße bekommen und haben wohl nicht ganz unberechtigte Angst davor, das demokratische Instrument Volksabstimmungen überzustrapazieren. Trotz der Demonstration von Tausenden vor Christiansborg mit der neuen solidarischen Allianz aus Gewerkschaften und (vielen) Pastorinnen und Pastoren, weshalb die Kirchenministerin von Venstre sogar den Bischöfen Einmischung in politische Angelegenheiten vorgeworfen hat. Eine höchst bemerkenswerte Einmischung der Politik – ausgerechnet von einer Politikerin, deren Partei sich sonst so gern auf die kulturell-christlichen Werte von Grundtvig beruft.

Viele wundern sich, dass der Buß- und Bettag in beiden Ländern an unterschiedlichen Tagen stattfindet – in Deutschland Ende November, in Dänemark Anfang Mai, was jedoch damit zusammenhängt, dass es in früheren Zeiten viele Buß- und Bettage gegeben hat und dass Deutschland letztlich den winterlichen Bußgang bevorzugt, Dänemark hingegen den frühsommerlichen. In Deutschland wurde der gesetzliche Feiertag 1995 bundesweit abgeschafft, aber es gibt ihn weiterhin noch in einem Bundesland – in Sachsen.

Proteste gegen die Beseitigung dieses christlichen Feiertages gab es auch südlich der Grenze, und in Schleswig-Holstein versuchte die Nordelbische Kirche die Entscheidung – übrigens getroffen durch die Ein-Stimmen-Mehrheit der damaligen SPD-Landesregierung – durch einen Volksentscheid rückgängig zu machen. Fassadenkletterer stiegen auf die Kirchtürme im Lande zwischen den Meeren und brachten dort lila Banner mit der Aufschrift „Ja zum Bußtag“ an. Vergebliche Liebesmühe: Zwar sprachen sich 1997 gut 68 Prozent aller abgegebenen Stimmen für die Abschaffung der Abschaffung aus, doch dies waren insgesamt nur 423.000 von 2,1 Millionen Stimmberechtigten, und damit wurde das erforderliche Quorum von 25 Prozent nicht erreicht.  

Im Hinblick auf Dänemark ist die Begründung für die Abschaffung interessant: Es dreht(e) sich in beiden Ländern um Mammon. In Deutschland wurde der von der evangelischen Kirche erstmals im 15. Jahrhundert begangene Buß- und Bettag gestrichen, um die Finanzierung der damals neu eingeführten Pflegeversicherung in allen Bundesländern zu sichern.  Mit anderen Worten: Ungeachtet ob pro oder kontra, so hatte die Bundesregierung jedenfalls eine Begründung geliefert, die die Bürgerinnen und Bürger südlich der Grenze besser akzeptierten als viele die kommunikativ-katastrophale Botschaft der neuen dänischen SVM-Regierung, sich durch diese Extraarbeit notwendiges Geld für die zusätzlichen Verteidigungsausgaben im Ukraine-Konflikt zu verschaffen.

Die verantwortliche dänische Politik hatte es im jüngsten Wahlkampf versäumt, den Menschen die zu erwartenden steigenden Folgekosten für den Krieg in der Ukraine deutlich zu vermitteln, obwohl ja klar ist, dass höhere Verteidigungsausgaben natürlich andere Prioritäten etwa im Wohlfahrts- und Gesundheitssystem verdrängen würden – es sei denn, man findet neue Einnahmen, um so die „Kriegskasse“ des Finanzministers zu stärken.

In der Debatte steckt dennoch leider viel Heuchelei. Natürlich ist es ein Opfer, wenn den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein freier Tag genommen wird, aber wenn man weiß, dass die meisten Däninnen und Dänen – zurzeit etwa 72 Prozent – ihre Mitgliedschaft in der Volkskirche eher wie ihre konsumtive Mitgliedschaft in „Brugsen“ betrachten, dann geht es den meisten doch gar nicht etwa um einen christlichen Bußgang, sondern um Freizeit und Erholung, was ja für den Einzelnen wichtig genug ist.

Zur Beseitigung des Buß- und Bettages kann man gewiss unterschiedlicher Meinung sein, aber – wie ein bekannter nordschleswigscher Theologe treffend bemerkte: Entscheidend ist, dass der christliche Feiertag in seinen Ritualen erhalten bleibt – auch wenn es künftig kein gesetzlicher Feiertag mehr sein wird!

Und übrigens wäre es gar nicht schade, wenn die verantwortlichen Politikerinnen und Politiker auch etwas Reue zeigen – nicht nur in christlicher Nächstenliebe!

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