Leitartikel

„Bitte möglichst zwanglos“

Bitte möglichst zwanglos

Bitte möglichst zwanglos

Kopenhagen
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Die Regierung wollte im Odense-Stadtteil Vollsmose zwangsweise testen. Daraus wurde nichts. Zum Glück, meint Walter Turnowsky, denn hier ging es eher um Symbolpolitik als um einen seriösen Einsatz gegen die Epidemie.

Am Montag, 8. März, hat die sozialdemokratische Regierung eine ihrer wenigen Niederlagen in ihrer Corona-Politik eingefahren. Der Epidemieausschuss des Folketings verweigerte die Zustimmung zu einem Testzwang im Odense-Stadtteil Vollsmose. Das zu diesem Zeitpunkt eine Woche alte Epidemiegesetz verpflichtet die Regierung dazu, solche Vorschläge dem Ausschuss vorzulegen.

Eine Zwangsisolation fand im Ausschuss eine Mehrheit, wurde aber dann von der Regierung fallen gelassen. 

Der Hintergrund war ernst genug: Die Infektionszahlen in Vollsmose waren haushoch, und die Epidemie drohte, dort völlig aus dem Ruder zu laufen. Es bestand also durchaus Handlungsbedarf.

Nur: Analysieren, ob die vorgeschlagenen Maßnahmen zielführend sind, bevor man handelt, darf man schon. 

Mittlerweile wird immer deutlicher, dass die Regierung sich auf die Zwangsmaßnahmen festgelegt hatte, ohne vorher zu untersuchen, ob diese notwendig waren.

In den Tagen bevor der Ausschuss den Vorschlag beraten hat, hatten 8.000 der 9.100 Bewohner Vollsmoses sich testen lassen. Das ist landesweit wohl ein Rekord. Diese Information lag dem Ausschuss jedoch nicht vor. Die Behörde für Versorgungssicherheit hatte falsche Zahlen geliefert, und man hatte sich nicht die Mühe gemacht, direkt bei der Kommune anzufragen. 

Bis hierher könnte man den Verlauf noch mit der (zu) großen Hast entschuldigen, die die Regierung nicht zum ersten Mal während der Corona-Krise an den Tag gelegt hat.

8.000 von 9.100 Bewohnern in Vollsmose haben sich testen lassen. Foto: Tim Kildeborg Jensen/Ritzau Scanpix

Für weitere Fehler von Staatsministerin Mette Frederiksen (Soz.) und Gesundheitsminister Magnus Heunicke (Soz.) gilt das nicht. Hier hat man mit offenen Augen dem Ausschuss Informationen vorenthalten.

Zunächst hat „Berlingske“ berichtet, dass die zwei Experten, auf die sich die Regierung bezog, Zwangstests für Vollsmose nicht empfohlen hatten, sondern lediglich im Allgemeinen davon gesprochen haben.

Auch durften sie nicht vor dem Epidemieausschuss erscheinen, obwohl sie dies angeboten und Ausschussmitglieder danach gefragt hatten. 

Eine weitere besorgniserregende Information kann man am Donnerstag „Politiken“ entnehmen: Die Regierung hat nicht im Vorfeld analysiert, ob man mit weniger weitgehenden Maßnahmen als Zwang zum Ziel kommen könne. 

Dazu ist sie laut Epidemiegesetz verpflichtet. Und das ist kein Zufall, denn Zwang darf immer nur der allerletzte Weg sein. 

Gegenüber „Politiken“ sehen zwei Verwaltungsrechtler die Regierung zumindest am Rande eines Gesetzesbruchs. Ein Informationsberater meint an gleicher Stelle, der Vorstoß der Regierung sei ausschließlich einer politischen Agenda geschuldet. 

Neben dem schon bekannten Bedarf der Regierung, in der Corona-Krise Handlungswillen auszustrahlen, springt ein weiterer Punkt ins Auge.

Denn es ist wohl kaum ein Zufall, dass die Vorschläge zum Zwang ein sogenanntes Ghetto-Gebiet mit einem hohen Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund betreffen. 

Man mag von der „harten“ Ausländerpolitik dieser Regierung (und der vorigen) halten, was man möchte. Symbolpolitik und markige Sprüche in dieser Frage gehören mittlerweile in Dänemark zum politischen Alltagsgeschäft.

Beim Umgang mit der Epidemie sollte jedoch entscheidend sein, was wirkt und was nicht. Und dabei sollte es eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, dass man von den möglichen Maßnahmen in jedem Fall die am wenigsten einschneidende wählt.

Symbolpolitik in der Corona-Krise ist nicht nur unklug, es grenzt schon an Verantwortungslosigkeit.

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