Diese Woche in Kopenhagen

„Die sozialdemokratische Erzählung“

Die sozialdemokratische Erzählung

Die sozialdemokratische Erzählung

Kopenhagen
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Mette Frederiksen hat auf souveräne Weise die Tagesordnung der öffentlichen Debatte erobert. Die bürgerliche Opposition hat dem nichts entgegenzusetzen, meint Walter Turnowsky.

„Tryghed“ lässt sich ähnlich wie „hygge“ nicht so richtig ins Deutsche übersetzen. Er ist wohl irgendwo zwischen „Sicherheit“ und „Geborgenheit“ angesiedelt.

Es ist kein Zufall, dass Staatsministerin Mette Frederiksen (Soz.), aber auch Justizminister Nick Hækkerup (Soz.) diesen sehr dänischen Begriff oft und gerne verwenden.

Denn er ist seit Jahrzehnten einer der zentralen Werte des sozialdemokratischen Denkens. Letztlich ist es das Versprechen des dänischen Wohlfahrtsstaates an die Bürger: Die Bürger leisten ihren Einsatz, der Staat sorgt für „tryghed“.

Soziale Absicherung, das öffentliche Gesundheitssystem, das dänische Schulsystem, die Folkepension, die Kinderbetreuung: Dies alles ist vor allem in den 50er, 60er und 70er Jahren auf der Grundlage dieses sozialdemokratischen Grundgedanken aufgebaut worden.

Bürgerliche werden tonangebend

Ab Ende des vorigen Jahrtausends kam der Begriff „tryghed“ den Sozialdemokraten jedoch zusehends abhanden.

Sie hatten einen Faktor übersehen, der bei Teilen der Bevölkerung das Gegenteil auslöste, nämlich „utryghed“. Der Zuzug von Flüchtlingen und Migranten sorgte für Verunsicherung. Im weiteren Sinn galt dies auch für die Globalisierung und die Verlagerung von Macht zur EU.

Genau diese Ressentiments bediente die Dänische Volkspartei, die sich in ihrem übrigen Programm weitgehend als sozialdemokratische Partei gab und gibt. 

Unter Anders Fogh Rasmussen führte dann auch Venstre zunehmend eine sogenannte stramme Ausländerpolitik. Gleichzeitig wandelte er sich von Anhänger des Minimalstaates zum Vorkämpfer des Wohlfahrtsstaates. 

Nun waren es die bürgerlichen Parteien, die tonangebend waren. Sie standen plötzlich für die Sicherheit.

Die Sozialdemokraten hatten lange keine Antwort darauf, sie wirkten verwirrt und ohne Richtung.

Frederiksen schlägt zurück

Das änderte sich, als Mette Frederiksen den Vorsitz der Partei übernahm.

Sie hat derzeit gut lachen: Staatsministerin Mette Frederiksen. Foto: Emil Helmsil Helms / Ritzau Scanpix

Sie nahm die klassischen sozialdemokratischen Positionen und modernisierte sie. Härte in der Ausländer- und Justizpolitik soll der Bevölkerung „tryghed“ vermitteln. Dies verknüpft sie mit der Forderung, alle (und dies zielt wiederum vor allem in Richtung Migrantengruppen) sollen zur Gemeinschaft beitragen.

Wie virtuos sie mittlerweile auf dieser Klaviatur spielt, bewies sie wieder am Mittwoch bei der Abschlussdebatte im Folketing.

Somit trifft der Begriff der „tryghed“ auch auf die eigene Regierung zu: Mette Frederiksen kann sich derzeit sehr sicher im Sattel fühlen.

Walter Turnowsky

In ihrer Rede stellt sie ein zehnjähriges Reformprogramm vor, mit dem sie drei miteinander verknüpfte Herausforderungen angehen will: Mehr Menschen sollen auf den Arbeitsmarkt, Jugendliche, die keine Ausbildung bekommen und ein unsichererer Arbeitsmarkt. Alles so formuliert, dass es wiederum ihre Fürsorge für das Wohlbefinden der Bevölkerung darstellte.

Gleichzeitig hat sie nun den Spieß gegenüber den Bürgerlichen umgedreht. So wie sich Fogh Rasmussen als Wächter des Wohlfahrtsstaates darstellt, hat Frederiksen den Liberalen nun den Begriff der Freiheit „gestohlen“ und ihm eine sozialdemokratische Prägung verliehen. Wahre Freiheit gibt es aus ihrer Sicht nur dann, wenn es auch „tryghed“ gibt.

Wirkungslose Kritik

Nun sind es die Bürgerlichen, die zunehmend hilf- und ratlos erscheinen. Ihnen fehlt der Gegenentwurf, und so versuchten sie sich in der Anschlussdebatte mit rückwärts gerichteten Angriffen.

Ihm fehlt der Plan: Venstre-Häuptling Jakob Ellemann-Jensen. Foto: Emil Helms / Ritzau Scanpix

Doch selbst die Kritik der sozialdemokratischen Kehrtwenden bei den Syrienkindern und beim Ausreisezentrum prallte wirkungslos ab.

So stehen die Sozialdemokraten nach zwei Jahren an der Macht und gut einem Jahr Corona-Krise trotz kleiner Dellen bei den Umfragen ungemein stark da. Die Unterstützerparteien können hier und da Akzente setzen. Aber es bleiben eben Akzente.

Die zentrale Erzählung dieser Jahre ist sozialdemokratisch.

Neuwahlen?

Nach Einschätzung einiger Kommentatoren könnte diese Machtposition ein Anreiz für Frederiksen sein, im Herbst Neuwahlen auszuschreiben. Sie könnte wahrscheinlich dem bürgerlichen Lager eine vernichtende Niederlage zufügen und gleichzeitig die ungeliebten Unterstützer Radikale Venstre dezimieren.

Ob sie tatsächlich solche Pläne in der Schublade liegen hat, ist mehr als ungewiss. Doch das Gerücht dürfte ihr ganz recht sein. Mit der unausgesprochenen Drohung einer Neuwahl kann sie nämlich die Unterstützer in Schach halten, sollten diese allzu aufmüpfig werden.

Somit trifft der Begriff der „tryghed“ auch auf die eigene Regierung zu: Mette Frederiksen kann sich derzeit sehr sicher im Sattel fühlen.

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