Klimakrise

Ukraine-Krieg sorgt für diplomatische Eiszeit in der Arktis

Ukraine-Krieg sorgt für diplomatische Eiszeit in der Arktis

Klimakrise: Diplomatische Eiszeit in der Arktis

Judith Reicherzer
Judith Reicherzer
Dänemark
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Gefrorene Seifenblase
Friedliche Zusammenarbeit? Der Traum ist vielleicht noch nicht geplatzt, aber bis auf Weiteres eingefroren, wie diese Seifenblase. Foto: Julian/Unsplash

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In der Arktis ist der russische Angriffskrieg zwar geografisch weit weg, die Auswirkungen aber sind drastisch. Zwischen Russland und den anderen arktischen Staaten herrscht Funkstille. Damit rennt der Welt beim Klimawandel einmal mehr die Zeit davon.

„Die Beziehungen sind auf null“, sagt Sjúrður Skaale, der Mitglied der arktischen Delegation des dänischen Folketings ist: „Das hat Auswirkungen auf das Arctic Council, den Klimawandel und verschärft die militärische Gefahr.“

 

Arctic Council
Neben den acht Mitgliedsstaaten haben indigene Gruppen und andere Staaten als Beobachtende Zugang zum Arctic Council. Zu ihnen zählen zum Beispiel Deutschland, China und die EU. Foto: Arctic Council

Arctic Council – keine Gespräche

Das Arctic Council war bis zum Beginn des russischen Angriffskrieges das wichtigste Instrument der arktischen Acht, um über Themen wie den Klimawandel, Tourismus und Umweltschutz zu diskutieren. Traditionell ausgespart wurde das Thema Sicherheit. „Es war so wichtig, einen Raum für Gespräche zu haben“, sagt Skaale, der nicht weiß, wie das Council ohne Russland noch einen Effekt haben soll.

Sjú∂ur Skaale verritt die Färöer im Folketing. Foto: Jens Dresling/Ritzau Scanpix

Den Vorsitz hat bis 2023 Russland inne, jedoch kam es kurz nach Beginn des Kriegs in der Ukraine zu einem Stillstand des Arktischen Rates als Dialogforum. Jetzt existieren mehr oder weniger zwei Foren: eines ohne Russland und eines nur mit Russland. „Was soll so ein Format bewirken? Russland umfasst allein flächenmäßig in etwa die Hälfte der Arktis. Eine Kooperation ohne Russland ist nicht zielführend“, sagt Skaale, der Abgeordneter der färöischen sozialdemokratischen Partei Javnaðarflokkurin im Folketing ist.

Arctic Council

Der Arktische Rat (gegründet 1996) ist das führende zwischenstaatliche Forum zur Förderung der Zusammenarbeit, Koordination und Interaktion zwischen den arktischen Staaten, den indigenen Bevölkerungsgruppen der Arktis und Menschen, die in der Arktis leben zu gemeinsamen arktischen Themen, insbesondere zu Fragen der nachhaltigen Entwicklung und des Umweltschutzes in der Arktis.

Die acht ständigen Mitglieder sind Russland, USA, Kanada, Norwegen, Dänemark, Island, Finnland und Schweden.

Alle Entscheidungen und Erklärungen des Arktischen Rates erfordern den Konsens der acht arktischen Staaten.

Klimawandel – die Welt verliert Zeit

„Besonders einscheidend ist die Funkstelle für den Klimawandel, und uns läuft wichtige Zeit davon“, sagt Skaale. Der Klimawandel schreitet in der Arktis doppelt so schnell wie in anderen Teilen der Welt voran und das liegt vor allem am sogenannten Eis-Albedo-Rückkopplungseffekt.

Die weiße Oberfläche von Schnee und Eis reflektiert Sonnenstrahlen, dunkle Flächen absorbieren sie dagegen. Die weißen Flächen sorgten bisher dafür, dass die warmen Sonnenstrahlen zurückgestrahlt wurden. Da es aber immer wärmer wird, schmilzt das Eis schneller und das dunkle Wasser des Meeres absorbiert die Wärme. Das führt zu einer immer schnelleren, vor allem lokalen Erwärmung.

Im Arctic Council war zuletzt noch Erleichterung durch die Präsidentschaft von Joe Biden in den USA spürbar gewesen, denn dieser erkennt den Klimawandel, anders als sein Vorgänger Trump, an. Mit dem russischen Angriffskrieg ist die Klimazusammenarbeit geschwächt. „Initiativen und Vereinbarungen werden schwierig zu treffen sein, solange das Arctic Council nicht wie gewöhnlich tagen kann“, so Skaale.

Arktis
So stellen sich vermutlich die meisten Menschen die Arktis vor: Eis, Meer, Kälte und irgendwo vielleicht noch ein Eibär auf einer Scholle. In der Arktis leben aber ca. vier Millionen Menschen, allein in Russland 2,4 Millionen. Foto: Christian Pfeifer/Unsplash

Militärische Gefahr

1987 hielt Gorbatschow in Murmansk eine wichtige Rede und verpasste der Arktis den Ausruf, „Zone des Friedens und des Dialogs“ zu sein. Obwohl mit der Einrichtung von verschiedenen Institutionen wie dem Arctic Council Foren der Diplomatie geschaffen wurden, zählte die Region auch vor dem russischen Angriffskrieg zu einer stark militarisierten Region.

„Schon jetzt lassen sich Veränderungen beachten, wie zum Beispiel im Verhalten der nordischen Staaten. Finnland und Schweden werden NATO-Mitglieder und Norwegen hat gerade vier neue Militärstützpunkte bewilligt“, so Skaale. „Die Angst vor Russland und vor allem einer nuklearen Eskalation hat definitiv zugenommen“, sagt der Politiker.

Die Annexion der Krim konnte von der Kooperation in der Arktis ferngehalten werden, aber der Krieg in der Ukraine kann von den anderen arktischen Staaten nicht ignoriert werden: „Wir waren so froh, dass die Kooperation auch nach der Annexion der Krim in der Arktis weiterging“, so Skaale.

Arctic Council
2018 trafen sich die Mitglieder des Arctic Council in Rovaniemi (Finnland). Wann alle Parteien wieder an einem Tisch sitzen, ist unklar. Foto: Arctic Council

Ausblick

„Keiner weiß, wie es weiter gehen soll und kann. Die Beziehungen sind auf null und Russland kehrt dem Westen den Rücken zu“, sagt Skaale.

Ein bisschen Hoffnung hat Skaale dennoch: „Die Kooperation in der Arktis hat lange Zeit wirklich sehr gut funktioniert und auch wenn die Situation derzeit ausweglos erscheint, ist es nicht ausgeschlossen, dass Kooperation wieder möglich wird“, so Skaale.

Der Politiker weiß aber nicht, welches Land eine Vermittlungsrolle bei der Annäherung einnehmen könnte: „Dänemark hatte eine führende Rolle, insbesondere in der Illuissat Deklaration, aber im Moment kann ich mir nicht vorstellen, wie und wer alle Parteien an einen Tisch bekommen kann“, so Sjúrður Skaale.

Ilulisaat Declaration

Die Erklärung wurde 2008 von den fünf arktischen Küstenstaaten USA, Kanada, Russland, Norwegen und Dänemark abgegeben. Die Erklärung unterstützt die bis Status quo rechtliche Situation des internationalen Seerechts und den damit verbundenen Rechten der souveränen Anrainerstaaten.

Initiative und Unterstützung erfuhr die Erklärung besonders durch Dänemark. Sie war eine Reaktion auf die von Russland berühmt gewordene Flagge auf dem arktischen Meeresgrund 2007 und der damit aufflammenden Diskussion um Territoriumsansprüche.

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