Leitartikel

„Tut das wirklich not, Ursula?“

Tut das wirklich not, Ursula?

Tut das wirklich not, Ursula?

Kopenhagen
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EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der französische Präsident Emmanuel Macron haben laut über eine Aufhebung der Einstimmigkeit bei der EU-Verteidigungspolitik nachgedacht. Die Gegner einer Abschaffung des Verteidigungsvorbehaltes hätten sich keine bessere Steilvorlage wünschen können, meint Walter Turnowsky.

Bei der Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron müssten derzeit eigentlich Dankesmails zuhauf aus Dänemark eingehen.

Kommen würden diese jedoch nicht von Personen, die üblicherweise viel Lob für die Kommissionspräsidentin übrighaben. Die Absender wären die Dänische Volkspartei, die Einheitsliste, die Volksbewegung gegen die EU und die Neuen Bürgerlichen. Alles EU-Skeptiker bis -Gegner, die dafür eintreten, den dänischen EU-Vorbehalt zur Verteidigungspolitik zu bewahren.

Am Sonntag liefen die Kampagnen zur Volksabstimmung am 1. Juni so richtig an. Und bereits einen Tag später haben von der Leyen und Macron der Nein-Seite einen richtig schönen Rückenwind beschert.

Anlässlich des Europatages meinten sie, man solle die Regel der Einstimmigkeit für die Verteidigungspolitik aufheben. Die Antwort aus Dänemark und zwölf weiteren EU-Staaten kam prompt: Man sehe keinen Anlass für Änderungen des EU-Traktates.

Damit könnte das Thema vom Tisch sein, denn es bedarf der Einstimmigkeit, um die Einstimmigkeit bei der Verteidigungszusammenarbeit aufzuheben. Da fast die Hälfte der 27 EU-Staaten dagegen ist, kann diese Traktatänderung also nicht beschlossen werden.

Der Widerstand gegen eine solche Änderung kann von der Leyen nicht unbekannt gewesen sein, daher ist umso verwunderlicher, warum sie unbedingt drei Wochen vor der Volksabstimmung in Dänemark mit diesem Vorschlag vorpreschen musste. Denn, dass in Dänemark über den Verteidigungsvorbehalt abgestimmt wird, hat die Kommissionspräsidentin ja wohl auch mitbekommen.

Bislang war es ein zentrales Argument der Anhängerinnen und Anhänger einer Abschaffung des Vorbehaltes, dass die EU keine militärischen Operationen gegen die Stimme Dänemarks beschließen könne, sollte es am 1. Juni ein Ja werden. Dänische Truppen würden nur mit Zustimmung Dänemarks eingesetzt werden können. Und wie bereits erwähnt, wird dies auch (zumindest auf Jahre hinaus) so bleiben.

Die Nein-Seite argumentiert dagegen, dass starke Kräfte in der EU den Wunsch haben, dies zu ändern, und beschwören in diesem Zusammenhang die Vorstellung von einem übernationalen EU-Heer.

Mit den Äußerungen von der Leyens und Macrons lässt sich dieses Argument nicht mehr so einfach zurückweisen. Denn auch wenn es derzeit nicht die geringste Chance gibt, dass die Abschaffung der Einstimmigkeit bei der Verteidigungspolitik beschlossen wird, so haben die beiden bewiesen, dass sowohl die EU-Spitze als auch eines der großen EU-Länder dies als Ziel hat.

Derzeit werden Entscheidungen zur generellen Außenpolitik der EU einstimmig beschlossen. Das Lissabon-Traktat öffnet jedoch die Möglichkeit, dies zu ändern.

Für die Verteidigungspolitik gilt Letzteres nicht. Der Bereich wird als so sensibel betrachtet, dass das Traktat die Einstimmigkeit festschreibt. Das bedeutet auch, dass der Europäische Gerichtshof bei der Verteidigungspolitik keine Kompetenz hat.

Eine Änderung hätte weitreichende Konsequenzen, denn bislang ist die EU-Verteidigungspolitik eine Zusammenarbeit unter souveränen Staaten. Wird die Einstimmigkeit abgeschafft, so wird die Vereteidigungszusammenarbeit auf die übernationale Ebene gehoben.

Dass nicht nur Dänemark ein Problem damit hat, in Militäroperationen verwickelt werden zu können, denen man nicht zustimmt, dürfte eigentlich niemanden wundern. Mag sein, dass in der EU so einiges häufig träge und langsam läuft, aber von unrealistischen Traktatänderungen zu schwärmen, ist nicht die Lösung.

Stattdessen könnten sich von der Leyen und Co. ja darauf konzentrieren, den Laden innerhalb des derzeitigen Rahmens besser zum Laufen zu bringen. Hier gibt es wahrlich reichlich zu tun. Das wäre eigentlich ihr Job.

Doch sie wollte lieber dazu beitragen, dass ein Nein am 1. Juni wahrscheinlicher geworden ist. Die Ja-Seite kann mit den Worten von Klempnermeister Röhrich aus den Werrner-Comics fragen: „Tut das wirklich not, Ursula?“

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