Leitartikel

„Mehr Geld für Bildung ist gute Verteidigungspolitik“

Mehr Geld für Bildung ist gute Verteidigungspolitik

Mehr Geld für Bildung ist gute Verteidigungspolitik

Apenrade/Aabenraa
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Es sollen noch mehr Kronen ins Verteidigungswesen fließen – auf diese Wahrheit hat Staatsministerin Mette Frederiksen das TV-Volk in ihrer Neujahrsrede vorbereitet. Doch die liberale Demokratie wird nicht nur mit Waffen zu verteidigen sein, meint Cornelius von Tiedemann.

Als Regierungschefin Mette Frederiksen (Soz.) sich neulich einmal mehr mit ihrer Neujahrsrede an das Fernsehvolk wandte, ging es in einigen kurzen Sätzen auch um globale Verteidigungspolitik und die Bedrohung durch Russland. Wie „Altinget“ analysiert, „düngte“ sie damit den Boden dafür, dass wir uns in rund zwei Jahren nicht allzu sehr wundern, wenn der Verteidigungshaushalt in Dänemark ordentlich aufgestockt wird.

Dänemark dürfte sich also den einst von Ex-US-Präsident Trump für die Nato-Alliierten vehement eingeforderten 2 Prozent des Haushaltes für Verteidigung etwas weiter annähern.

Doch wofür wird dieses Geld ausgegeben? Waffen und Technologien allein schützen uns schon längst nicht mehr vor den Angriffen jener Diktaturen und illiberalen Demokratien, die uns, weshalb auch immer, destabilisieren wollen.

Hacking, digitale Verleumdungskampagnen („Doxing“) und Desinformation werden gezielt und massiv eingesetzt und tragen giftige Früchte.

Nicht nur in Amerika. Der Deutsche Bundestag und Parteistiftungen, das dänische und das italienische Außenministerium wurden von Hacker-Banden aus Russland unterwandert. Kampagnen für den Brexit, gegen den liberal gesinnten französischen Präsidenten Macron, gegen die Kanzlerkandidatin der Grünen in Deutschland, Annalena Baerbock, und viele weitere wurden, so wissen wir und nehmen wir wohlbegründet an, von Russland und anderswo aus gesteuert.

Undemokratisches, rückständiges und menschenverachtendes Gedankengut wird verbreitet. Immigranten, Minderheiten aller Art, Wissenschaftlerinnen, Politikerinnen, Mediziner werden verleumdet und delegitimiert. Mal offensichtlich, mal ganz subtil. Corona hat uns erneut gezeigt, wie verunsichert viele dadurch sind.  

Wozu brauchen Russland und andere Regimes uns mit Waffen zu drohen, wenn sie uns so dazu bringen, nicht mehr an unsere freie Demokratie oder die Wissenschaft zu glauben und uns damit  langsam aber sicher unser eigenes Fundament zu zerbröseln?

Um dem entgegenzuwirken brauchen wir natürlich Technik und sogenannte Manpower. In den öffentlichen Stellen, für eine geschmeidige Zusammenarbeit von Behörden und Unternehmen wie Facebook, Google oder Twitter. Und wir brauchen eine gemeinsame europäische Schlagfertigkeit – fußend auf dem europäischen Recht, das neben dem Schutz der (Meinungs-)Freiheit auch den Schutz der Person und ihrer Rechte sicherstellt.

Prima: Die dänische Sozialdemokratin Christel Schaldemose hat den „Digital Services Act“, der vom EU-Parlament und anschließend den Regierungen der EU-Länder verabschiedet werden soll, maßgeblich mitgestaltet. Doch dass das Maßnahmenpaket, das unter anderem Hatespeech und Desinformation in „sozialen Netzwerken“ vorbeugen und bekämpfen und die Unternehmen in Europa haftbarer machen soll, überhaupt wirkungsvoll umgesetzt werden kann, ist alles andere als sicher.

Auch deshalb, weil nationale Regierungen, darunter die dänische, Bedenken haben. Mehr und schnellere Eigenkontrolle der sogenannten „sozialen Netzwerke“ wird immer wieder mit dem in Dänemark geradezu heiligen Argument der Meinungsfreiheit entgegnet.

Dabei wird in Kauf genommen, dass von der Meinungsfreiheit nicht viel übrig sein wird, wenn diejenigen, die die Demokratie nutzen, um sie abzuschaffen, gewinnen.

Die EU ist hier, gerade und auch für kleine Länder wie Dänemark, ein mächtiges Bollwerk. Mit der Macht Europas können wir globale Konzerne dazu bringen, uns vor digitaler Kriegsführung zu schützen. Und so könnten wir schließlich der Markt- und somit Meinungsmacht einiger weniger Konzerne sogar etwas entgegensetzen, das unsere freiheitlichen Werte nicht nur zur Reichweite- und Gewinnmaximierung nutzt – sondern auch auf ihnen aufbaut und sie stärkt.

Apropos Verteidigungspolitik neu denken: Wer ernsthaft ein Bollwerk gegen Desinformation und illiberale Bewegungen in Dänemark und Europa errichten will, der sollte einen ganz anderen Etat im Haushalt massiv erhöhen: den Bildungsetat.

Die illiberalen Kräfte könnten es sich gar nicht schöner ausmalen: Besonders die für unsere Demokratie systemrelevanten geistes-, human- und sozialwissenschaftlichen Fächer leiden heute finanzielle Not oder werden abgeschafft.

Dabei werden wir, unsere Journalistinnen und Journalisten, unsere Lehrerinnen und Lehrer und unsere Politikerinnen und Politiker an den akademisch frei wirkenden Fakultäten mit dem Rüstzeug ausgestattet, das uns besser vor der Torheit schützt als jede Kanone: Wissen.

 

 

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