Leitartikel

„Friede, Freude, Stacheldraht: Dänemark und Europa stehen am Scheideweg“

Friede, Freude, Stacheldraht: Dänemark und Europa stehen am Scheideweg

Dänemark und Europa stehen am Scheideweg

Apenrade/Aabenraa
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Deutschland und Dänemark ziehen in der Migrationspolitik europäisch nicht unbedingt an einem Strang. Das könnte sich ändern, meint Cornelius von Tiedemann. Und zwar dann, wenn eine neue deutsche Regierung als Vorbild vorangeht.

Dänemark und Deutschland feiern sich beim Königinnen-Besuch einmal mehr als beste Freunde. Und das sind sie auch. In allem einig sind sie sich deshalb aber noch lange nicht.

Zum Beispiel gehören beide Länder in der Migrations-Politik unterschiedlichen Lagern an. Wo Dänemark ansonsten oft Vorbild für Deutschland ist, darf in dieser Frage vorsichtig auf eine neue deutsche Regierung gehofft werden. Und darauf, dass diese eine Alternative zur Festung Europa entwickelt, die Dänemark und seine EU-Verbündeten in Wien, Warschau und Vilnius bauen wollen.

Es ist höchste Zeit. Mehrere europäische Staaten halten sich derzeit nicht mehr an die eigenen Regeln und lassen Menschen in Grenzgebieten misshandeln. Dass sie gegen geltendes Recht verstoßen, ist schlimm genug. Doch ihre Lösung ist perfide: Die Rechte sollen schlicht umgeschrieben werden. Sprich: Menschen sollen mit (fast) allen Mitteln davon abgehalten werden, nach Europa zu gelangen.

Das Dilemma: Auf diese Weise spielen wir ein gefährliches ethisches Doppelspiel. Gestehen „uns“ (Menschen-)Rechte zu, die wir anderen nicht zugestehen.

Doch was ist die Alternative?

Dänemark verkauft also öffentlichkeitswirksam Stacheldrahtzäune, setzt sich auf EU-Ebene für streng überwachte Außengrenzen ein und bietet aktuell Polen großzügig militärische Unterstützung im Kampf gegen die Menschen, die Weißrussland nach Polen schleust, um die Stimmung in Europa weiter aufzuheizen. Zugleich steckt Dänemark viel Geld in Entwicklungshilfe. Geld, das jedoch auch dafür verwendet werden soll, Menschen daran zu hindern, nach Europa zu gelangen. 

In Polen hat die Regierung gerade ein Notstandsgesetz verabschiedet, das es den Behörden erlaubt, Flüchtlinge, die das Land „illegal“ betreten, zurückzuschicken. Hilfsorganisationen warnen vor einer humanitären Krise, bisher seien bereits mindestens acht Menschen gestorben, die meisten an Unterkühlung. Anders gesagt: Mitten in Europa erfrieren gerade Menschen, weil wir sie nicht bei uns haben wollen.

Zugleich setzen Kroatien und Griechenland eine Schattenarmee ein, die im Verbund mit den regulären Sicherheitskräften an den Grenzen auf Menschen einprügelt.

Zwölf Mitgliedsstaaten, darunter Dänemark, fordern, dass die EU ihre Regeln so anpasst, dass sie „weitere Präventivmaßnahmen“, einschließlich Mauern und Zäune, an ihren Außengrenzen finanziert. Das Zurückdrängen von Menschen aus dem Hoheitsgebiet eines Landes, auch wenn es sie in Gefahr bringt oder ihr Recht auf Asyl außer Kraft setzt, würde somit zu einer fest verankerten Praxis.

Deutschland macht da (noch) nicht mit. Doch letztlich sind es nur unterschiedliche Meinungen darüber, wie der Weg zur Festung Europa beschritten werden sollte. Einen gangbaren alternativen Weg hat Deutschland, hat die EU bisher nicht entwickelt.

Doch diesen brauchen wir. Denn wir wiegen uns in falscher Sicherheit und spitzen die Konflikte nur noch weiter zu, wenn wir Mauern hochziehen. Es kann doch niemand ernsthaft behaupten, dass es eine vielversprechende Strategie der Zukunftssicherung und der Krisen- und Konfliktvermeidung ist, sich selbst einzumauern.

Was wir stattdessen brauchen? Schnelles Handeln, um die Folgen der Klimaveränderungen abzumildern. Politische Strategien für Europa und den Rest der Welt, sich an die veränderten Lebensumstände anzupassen. Ernsthafte Pläne, um die  globale Ungleichheit zu verringern – und dazu eine einheitliche, konsequente, aber auch solidarische und humane Migrations-Politik.

Es wird entscheidend sein, dass die neue deutsche Regierung dabei eine Vorreiterrolle annimmt und gute Freunde wie Dänemark mit überzeugenden Argumenten dazu bewegt, das Lager der Mauerbauer zu verlassen.

 

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