Diese Woche in Kopenhagen

„Den Müll raustragen“

Den Müll raustragen

Den Müll raustragen

Kopenhagen
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Spindoktoren haben unterschiedliche Rezepte als Kur gegen negative Schlagzeilen entwickelt. Doch ähnlich wie bei den Corona-Impfstoffen ist die Wirkung dieser Rezepte häufig nicht von Dauer. Und im Gegensatz zu den Impfstoffen sind die Nebenwirkungen manchmal ernster als die Erkrankung, wie Walter Turnowsky an einer Reihe von Beispielen erläutert.

Positive Schlagzeilen sind Politikerinnen und Politikern – sowie anderen Amtsinhabern – am liebsten. Das ist rein menschlich, aber auch strategisch durchaus nachzuvollziehen.

Doch gibt es in regelmäßigen Abständen auch die negativen. Extra blöde an denen ist, dass du als Leserin oder Leser – du kannst es ruhig einräumen; die anderen tun es auch – eher eine negative als eine positive Überschrift anklickst.

Was also tun, wenn sich eine negative Nachricht anbahnt oder nicht mehr zurückhalten lässt? Zum Glück für Politiker und zum Beispiel auch Gewerkschaftsbosse haben Kommunikationsexperten verschiedene Rezepte für diese Situation entwickelt.

Der Nachricht zuvorkommen

Eine Methode ist, dass man der Nachricht zuvorkommt und seine eigene Version veröffentlicht, in der man verdeutlicht, wie die Sache eigentlich zu verstehen ist. Man verpasst der Nachricht den eigenen Dreh, den eigenen Spin.

Diese Methode nutzte der jetzt ehemalige Vorsitzende der Gewerkschaft 3F, Per Christensen, am vergangenen Donnerstag, als klar war, dass „BT“ einen Artikel über sein Doppelleben veröffentlichen würde. In einem langen Eintrag auf Facebook entschuldigte er sich bei den Frauen, die er verletzt hatte. Er betonte aber gleichzeitig, dass sein Privatleben die Öffentlichkeit nichts angehe, stellte sich als Opfer dar.

Zunächst schien die Methode zu funktionieren: Sozialdemokratische Freunde und Minister eilten herbei – sogar der Venstre-Abgeordnete Jan E. Jørgensen fühlte sich berufen – und schimpften, „BT“ solle die Finger von seinem Privatleben lassen. Gelesen hatte den Artikel, da noch nicht erschienen, keiner von ihnen.

Von der Schwerkraft erwischt

Doch, wie das „ehemaliger“ in seinem Titel andeutet, sollte man bei solchen Rezepten die Anweisungen des Spindoktors genau befolgen und gern auch die Packungsbeilage auf mögliche Nebenwirkungen hin untersuchen. Denn selbst ein akrobatisch ausgeführter Spinschlag kann nicht, wie jede Tennisspielerin weiß, die Schwerkraft aufheben.

Und die Schwerkraft bestand in diesem Fall aus dem Lügengebäude, das Christensen aufgebaut hat, um zu verbergen, dass er gleichzeitig zwei Familien hatte. „BT“ hatte den Artikel am Freitag kaum veröffentlicht, da kam der Ball schon mit doppelter Geschwindigkeit über das Netz zurückgeflogen. Und am Dienstag mussten dann sowohl die Gewerkschaft als auch er selbst einräumen, wer ein machtvolles Amt bekleidet, kann sich nicht erlauben, privat das Vertrauen etlicher Menschen zu hintergehen.

Der große Mülltag

Eine andere Methode, mit negativen Nachrichten umzugehen, ist, mit seinem Säckchen politischem Müll durch die Hintertür hinauszuschleichen, während alle Blicke in eine andere Richtung gerichtet sind.

So kann es passieren, dass das Begrabene ähnlich wie ein Mink wieder an die Oberfläche dringt.

Walter Turnowsky

Der vielleicht zynischste Einsatz dieser Methode ist von der damaligen Beraterin der britischen Regierung, Jo Moore, bekannt. Keine Stunde nach den Terrorangriffen am 11. September 2001 schickt sie eine Mail an ihre Presseabteilung, heute sei „ein guter Tag, alles zu veröffentlichen, was man begraben möchte“.

Doch auch diese Methode hat so ihre Tücken. So kann es passieren, dass das Begrabene ähnlich wie ein Mink wieder an die Oberfläche dringt, jemandem auffällt, dass einer der Beutel im Müllcontainer auffällige Gerüche verbreitet.

Omikron und Geheimdienst

Ob die Veröffentlichung des Ergebnisses der Untersuchung des Nachrichtendienstes FE vor Weihnachten nun ein Versuch des Müllraustragens war oder ein zufälliges zeitliches Zusammentreffen, wissen wir nicht. Das Verteidigungsministerium veröffentlichte am 13. Dezember die brisante Nachricht, eine Kommission sei zu dem Ergebnis gekommen, dass sämtliche Beschuldigungen, FE habe illegal gehandelt, gegenstandslos seien.

Ob nun beabsichtigt oder nicht, alles befasste sich zu diesem Zeitpunkt mit Omikron und dem erneuten Shutdown, und die Nachricht ging zunächst unter.

Doch spätestens als einen Monat später bekannt wurde, dass FE-Chef Lars Findsen wegen angeblichen Verrats von klassifiziertem Material in U-Haft sitzt, platzte der Müllbeutel auf. Wie und ob die beiden Fälle – der Freispruch seines Etats und die Anschuldigungen gegen ihn – zusammenhängen, wissen wir nicht, beziehungsweise dürfen wir nicht wissen.

Doch wird wohl noch weiter in diesen Beuteln herumgestöbert werden.

Zufälliger Mülltag

Am vergangenen Dienstag war in dem Sinne kein großer Mülltag geplant, aber manchmal ergibt es sich eben zufällig so. Kaum hatte 3F den Rücktritt von Per Christensen bekannt gegeben, sickerte durch, dass Mette Frederiksen sämtliche Corona-Restriktionen aufheben möchte. Und selbstverständlich dominierte das dann die kommenden beiden Tage die Überschriften.

So konnte nicht nur 3F ihren Vorsitzenden relativ still durch die Hintertür hinausgeleiten. Auch die tief zerstrittene Dänische Volkspartei konnte ihre erste Fraktionssitzung nach der Wahl von Morten Messerschmidt zum Vorsitzenden einigermaßen ungestört über die Bühne bringen. Doch, und das ist keineswegs eine gewagte Prognose, da wird noch einiges nachkommen. Wenn eifrig beschworen wird, Konflikte würden künftig intern ausgetragen, ist das der sicherste Hinweis, dass gerade das nicht passieren wird.

Mali

Eine noch viel ernstere Sache als unglaubwürdige Gewerkschaftsvorsitzende und Parteistreitereien ist ebenfalls im Nachrichtenstrom ein wenig untergegangen: Die Putschregierung in Mali hat von Dänemark verlangt, dass die Truppen abgezogen werden. Nach anfänglichem Bekunden von Unverständnis von Außenminister Jeppe Kofod teilte die Regierung am Donnerstag mit, dass die Soldaten jetzt nach Hause reisen.

Dänemark hat an einer französisch geleiteten Mission gegen Terrorismus in einer Reihe von westafrikanischen Ländern mit 105 Personen teilgenommen. Am Freitag teilte Verteidigungsministerin Trine Bramsen mit, weitere europäische Länder würden innerhalb der kommenden zwei Wochen ihre Truppen abziehen.

Die Frage, wie wir mit Terror, unstabilen Staaten, aber auch mit der ungleichen Verteilung von Wohlstand umgehen, wird bleiben – ob sie nun aktuell Schlagzeilen macht oder nicht.

 

 

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