#textmewhenyougethome

Schreib mir, wenn du zu Hause bist!

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Naomi Stieglmaier
Apenrade/Aabenraa
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So gut wie jede Frau hatte auf dem Heimweg schon einmal Angst, verfolgt zu werden. (Symbolbild) Foto: AdobeStock

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Angst vor Übergriffen: Warum sollen Frauen sich verstecken müssen und Männer weiter Angst verbreiten dürfen, fragen sich junge Nordschleswigerinnen im Zuge der weltweiten Debatte nach einem Mord an einer Frau in London.

London: Am Abend des 3. März verlässt die 33-jährige Sara E. die Wohnung einer Freundin im Süden der Metropole und macht sich auf den Heimweg, zu Fuß. Zu Hause kommt sie jedoch nie an. Nachdem ihr Freund die Polizei alarmiert, gilt die junge Frau tagelang als vermisst, dann wird ihre Leiche gefunden. 

Verdächtigt, den Mord begangen zu haben, wird ein 48-jähriger Polizist. Der Vater von zwei Kindern sitzt in Untersuchungshaft, weitere Details und Gründe für den Verdacht gibt die Polizei nicht bekannt. 

Die Geschichte schlägt Wellen – auch in Nordschleswig

Die tragische Geschichte berührt viele Menschen in Großbritannien und im Rest der Welt. Viele Frauen teilen unter dem Hashtag #textmewhenyougethome ihre Erfahrungen und Erlebnisse mit der Angst, allein nach Hause zu gehen. Und das löst eine Debatte über Gewalt gegen Frauen aus. 

Wir vom „Nordschleswiger“ haben Schülerinnen des Deutschen Gymnasiums für Nordschleswig (DGN) gefragt: „Fühlt ihr euch nachts draußen sicher?“

„Nein!“

Diese Antwort war bei allen Befragten eindeutig. 

Vermummen auf dem Weg zum Club

Fakt ist: Viele Frauen fühlen sich unwohl, wenn sie im Dunkeln allein unterwegs sind, und einige schränkt das ein.

„Wenn ich ausgehe, dann möchte ich mich natürlich schön anziehen. Oft vermumme ich mich dann aber, wenn ich draußen bin oder ziehe noch eine Jeans über meine Leggins, die ich dann erst im Club ausziehe, sonst werde ich schon auf dem Hinweg angemacht“, sagt die 18-jährige Nadja Bütow. 

Den Standort teilen, den Schlüssel zwischen die Finger nehmen, nach Hause rennen, das kennen Frauen überall.

„Ich habe eine Abmachung mit meinem Freund, ich sage ihm immer vorher Bescheid, wenn ich im Dunkeln rausgehe“, sagt Katharina Kley, zweite Vorsitzende der Jungen Spitzen, der Jugendpartei der deutschen Minderheit in Nordschleswig.

Ihre Freundin Mai Kirstine Kehlet Schreiner verschickt oft Snapchat-Videos: „So wissen meine Freunde, wo genau ich bin, und Katharina und ich schlafen meistens nach dem Feiern beieinander, so muss keine von uns allein nach Hause.“

Die Angst geht immer mit

Nadja  Bütow nutzt eine Funktion auf ihrem Handy: „Man kann auf dem iPhone einstellen, dass automatisch ein Notfallsignal gesendet wird, wenn man fünfmal den Homebutton drückt. Entweder an eine Notfallzentrale oder an deine Notfallkontakte.“ 

Sie hat Angst vor Belästigung oder davor, gar Opfer einer Vergewaltigung zu werden. In einem Bericht der „United Nations Etnity for Gender Equality and the Empowerment of Women“ wurden über 1.000 Frauen aus Großbritannien im Alter von 18 bis 24 Jahren befragt. 97 Prozent erfuhren schon sexualisierte Gewalt oder Übergriffe. 

 

Ich stand einfach nur da und wusste nicht, was ich machen sollte. Meistens waren sie dann auch betrunken.

Mai Kirstine Kehlet Schreiner

Nadja Bütow kommt eigentlich aus Stuttgart. In ihrer Heimatstadt ist sie nachts nie allein rausgegangen: „Wir waren immer mindestens zu zweit. Einmal bin ich mit der Bahn nach Hause gefahren. Es war erst 22 Uhr. Und dann musste ich in einen Bus umsteigen. Da sind mir Typen hinterhergerannt, haben mich angeglotzt und mir so etwas wie ,Hey, Süße’ hinterhergerufen.“

Gerne hätte sie etwas gesagt, aber die Angst, sich nicht wehren zu können, war zu groß. 

Mai Kirstine Kehlet Schreiner arbeitet in einem Supermarkt und hat auch schon unangenehme Begegnungen mit Männern erlebt, die ihr Angst gemacht haben: „Es kamen schon öfter Männer nach der Arbeit zu mir und stellten mir Fragen. Ich stand einfach nur da und wusste nicht, was ich machen sollte. Meistens waren sie dann auch betrunken. Oft hole ich dann mein Handy raus, damit die Männer wissen, ich hab Freunde, und die wissen auch, wo ich bin.“

Todesangst vor jungen Männern

Louisa Pflieger hat eine Freundin, die schon verfolgt worden ist: „Ich wurde oft einfach beleidigt – ohne Grund. Eine Freundin wurde vor Kurzem von drei Jungs verfolgt. Sie hatte Todesangst.“ 

Eine Freundin wurde vor Kurzem von drei Jungs verfolgt. Sie hatte Todesangst.

Louise Pflieger

„Warum wird der Mann hier automatisch über die Frau gestellt?“

Um solche Vorfälle zu verhindern, riet die Polizei in London den Frauen, nachts nicht mehr allein das Haus zu verlassen.

„Sollen doch Männer nachts nicht mehr das Haus verlassen. Warum wird der Mann hier automatisch über die Frau gestellt? Warum sollen wir nicht mehr rausgehen, wir sind ja nicht das Problem“, sagt Nadja Bütow.

Auch Katharina Kley ist der Meinung, eigentlich sollte die Frau sich nicht einschränken müssen: „Meine Mutter und mein Freund fragen mich dann schon öfter, ob ich das jetzt wirklich anziehen will, sie wollen mich ja beschützen. Aber eigentlich sollte ich anziehen können, was ich will.“

Junge Männer für das Thema sensibilisieren – und in die Verantwortung nehmen

Ein Ausgehverbot für junge Frauen kommt für die Nordschleswigerinnen also überhaupt nicht infrage.

Louisa Pflieger ist stattdessen der Meinung, dass Themen wie Sexismus und Gewalt gegen Frauen in den Schulalltag integriert werden sollten.

„Man sollte darüber sprechen und das männliche Geschlecht für diese Thematik sensibilisieren. Eben erklären, dass Witze über Vergewaltigungen nicht witzig sind. Der Weltfrauentag könnte ein Projekttag werden, wo genau darüber gesprochen wird. In meiner ganzen Schullaufbahn waren außerdem die meisten literarischen Texte, die wir gelesen haben, aus männlicher Perspektive verfasst. Das muss sich ändern“, sagt die Schülerin. 

Aufklären und aufklären lassen. Es gibt einige Dinge, die alle Männer tun können, damit Frauen sich nachts sicherer fühlen: 

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