Gesundheit
Wiederbelebt werden oder sterben? Bald können alle über 60 in Dänemark selbst entscheiden
Wiederbelebung oder sterben? Bald können alle über 60 selbst entscheiden
Wiederbelebt werden? Bald können alle über 60 entscheiden
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Entscheidung per Mausklick: Ab 2024 werden Rettungskräfte sowie Ärztinnen und Ärzte umgehend digital informiert, ob eine leblose Person nach Herzstillstand überhaupt gerettet werden möchte. Doch ist das ethisch vertretbar? Aus der Forschung gibt es leise Bedenken – nicht zuletzt wegen der Altersgrenze.
Die meisten – aber nicht alle – Menschen möchten nach einem Herzstillstand wiederbelebt werden. Häufiger Grund für diejenigen, die das ablehnen, ist die Furcht vor einem nicht mehr selbstbestimmten Leben infolge der Rettungsmaßnahmen.
Deshalb wird es kommendes Jahr allen in Dänemark gemeldeten Personen ab 60 Jahren möglich sein, auf der Internetseite sundhed.dk seinem Wunsch Ausdruck zu verleihen, im Fall der Fälle nicht wiederbelebt zu werden.
Ärztinnen und Ärzte, das Rettungs-, Gesundheits- und Pflegepersonal wird diesen Eintrag dann digital angezeigt bekommen, sofern die Identität der betroffenen Person bekannt ist.
Ministerin: Wünsche der Betroffenen respektieren
„Die Entscheidung der einzelnen Person sollte respektiert werden. Wenn eine Bürgerin oder ein Bürger über 60 nach einem Herzstillstand nicht wiederbelebt werden möchte, ist es meine Haltung, dass man diesen Wunsch akzeptieren sollte“, sagt Gesundheitsministerin Sophie Løhde (Venstre) in einem schriftlichen Kommentar zu dem neuen Gesetz.
Dass nun alle ab 60 die Möglichkeit bekommen, ist eine Stärkung des Rechts auf Selbstbestimmung.
Anna Wilroth
Der Interessenverband der Seniorinnen und Senioren, Ældre Sagen, hat sich lange für ein entsprechendes Recht auf Selbstbestimmung eingesetzt. Bisher steht dies nur Personen zu, die schwer erkrankt sind oder diesbezüglich behandelt werden.
„Dass nun alle ab 60 die Möglichkeit bekommen, ist eine Stärkung des Rechts auf Selbstbestimmung“, sagt Anna Wilroth, Beraterin bei Ældre Sagen.
Erst kürzlich berichtete der Fernsehsender „TV2“ von der 81-jährigen Kerstin Andersen aus Hadsten, die sich den Satz „Ich will nicht wiederbelebt werden“ auf den Oberkörper hat tätowieren lassen.
Ihre größte Sorge: nach dem Wiederbeleben nicht mehr sie selbst zu sein. Und damit ist sie nicht allein, sagt Wilroth der Nachrichtenagentur „Ritzau“. Häufig sei bei Seniorinnen und Senioren davon die Rede, nicht als „Gemüse“ enden zu wollen.
Der Artikel geht nach dem Faktenüberblick weiter.
Ärztinnen und Ärzte: Viele Wiederbelebungsversuche nehmen ein gutes Ende
Zustimmung zu dem Gesetz kommt auch vom Dachverband der Ärztinnen und Ärzte (Lægeforeningen) und dem Interessenverband für Vorsorge, Forschung und Information zum Thema Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Hjerteforeningen.
Die allermeisten in diesem Alter haben nach Herzstillständen noch ein gutes Leben.
Gunnar Gislason
Doch von beiden Seiten kommt auch die Warnung, das Wiederbeleben mit einem künftigen Dasein als „Gemüse“ gleichzusetzen. „Das ist eine mögliche Gefahr, aber man muss sich vor Augen halten, dass es für ganz viele gut ausgeht. Es hängt ganz davon ab, wie schnell man Hilfe erhält und welche Hilfe man bekommt“, sagt Klaus Peder Klausen, Vorsitzender des Ethik-Ausschusses bei Lægeforeningen, zu „Ritzau“.
Gunnar Gislason, Forschungschef bei Hjerteforeningen, begrüßt das Gesetz, hält es jedoch für fraglich, ob die Altersgrenze mit 60 Jahren nicht zu niedrig angesetzt ist. „Die meisten sind in den 60ern noch topfit. Die allermeisten in diesem Alter haben nach Herzstillständen noch ein gutes Leben. Drei von vier Berufstätigen kehren ins Arbeitsleben zurück“, sagt er.
Bevor das Gesetz in Kraft tritt, sollten die Behörden deshalb mit einer Aufklärungskampagne an die Öffentlichkeit gehen, fordert er. Und die solle sich nicht nur an die betroffene Altersgruppe wenden, sondern an die Gesamtbevölkerung, damit sichergestellt ist, dass Zeuginnen und Zeugen eines Herzstillstandes immer helfen.
Es dürfe keinen Zweifel daran geben, dass Menschen, die einen Herzstillstand beobachten, eingreifen und helfen. „Niemand darf sich zurückhalten aus Angst, dass die Person sich gegen Wiederbelebungsversuche entschieden haben könnte“, so Gislason.
Die Situation in Deutschland
- Auch aus Deutschland sind Fälle bekannt, in denen sich Menschen Schriftzüge auf die Brust tätowieren lassen, mit denen sie Wiederbelebungsversuche verhindern wollen – wenngleich ein Tattoo auch dort nicht als wirksame Patientenverfügung anerkannt wird.
- Auch in Deutschland besteht keine Pflicht zur Reanimation, wenn sie dem Willen der Patientin oder des Patienten widerspricht – auch dann, wenn die Wiederbelebung medizinisch noch angezeigt wäre.
- In der Regel werden alle in ärztlicher Behandlung befindlichen schwer Erkrankten oder Hochbetagten über die Möglichkeit einer sogenannten DNR-Anordnung („Do Not Resuscitate“, nicht reanimieren) aufgeklärt. Eine zentral gespeicherte, jederzeit online zugängliche Erklärung wie die in Dänemark geplante gibt es jedoch nicht, weshalb Rettende in Deutschland den Willen der Betroffenen oft anders ermitteln oder vermuten müssen.
- Das Bundesjustizministerium und die Verbraucherzentralen stellen online Vorlagen für entsprechende Verfügungen bereit. Diese müssen ausgedruckt, unterzeichnet und ihre Existenz anderen aktiv vermittelt werden. In der Regel gelten Familie und Hausärztin oder Hausarzt als entsprechende Ansprechpersonen.
Quellen: bmj.de, verbraucherzentrale.de, unimedizin-mainz.de