Dieser Tag auf Bornholm

„Die schwere Disziplin des gegenseitigen Respekts“

Die schwere Disziplin des gegenseitigen Respekts

Die schwere Disziplin des gegenseitigen Respekts

Allinge
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Das Volk hat die Einladung zum Volkstreffen angenommen. Foto: Walter Turnowsky

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Das Folkemøde auf Bornholm macht vor, wie es gehen kann: Der respektvolle Umgang miteinander trotz politischer Gegensätze. Doch einigen Spitzenpolitikerinnen und Spitzenpolitikern fällt es schwer, den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden, hat Walter Turnowsky beobachtet.

Nach der amputierten Corona-Ausgabe im vergangenen Jahr ist dies mein erstes richtiges Folkemøde.

Also bin ich gespannt, als ich am Donnerstag vom südlichen Teil von Bornholm aus Richtung Allinge aufbreche. Gespannt, wie es ist, wenn statt 2.000 Menschen pro Tag, 10.000, 20.000 oder sogar 40.000 kommen. Gespannt, wie die Stimmung und die Debatten sind.

Lockere Stimmung

Doch vor allem bin ich auch gespannt, wie es bei dem großen Ansturm mit dem Parken und der Presse-Akkreditierung klappen wird. Daher fahre ich auch sehr rechtzeitig los. Doch meine Befürchtungen werden enttäuscht: Der Verkehr ist (noch) sparsam und der auf einer Wiese angelegte Parkplatz lässt sich problemlos erreichen.

Vor dem Pressezentrum steht ein Tisch, an den ein Zettel geklebt ist: nur Zutritt mit Presseausweis und Akkreditierung. Auf dem Stuhl hinter dem Tisch sitz zu diesem Zeitpunkt niemand. Im vergangenen Jahr wurde hier genau kontrolliert, bevor ein Armband ausgehändigt wurde. Im Pressezentrum wird nur angekreuzt, wer erschienen ist. Irgendein Armband oder einen Ausweis gibt es nicht. Aha, es geht anscheinend recht locker zu – ein Eindruck, der sich bestätigen soll.

Die Grauen und die Jungen

Doch gab es bereits auf dem Weg vom Parkplatz einen Hinweis darauf, dass sehr viel mehr Leute erwartet werden als im Vorjahr: Die Polizeipräsenz ist deutlich größer. Doch auch die Beamtinnen und Beamten wirken locker. Selfie mit dem (Bomben?)-Hund? Aber selbstverständlich.

Eine Stunde vor Beginn sind nur verhältnismäßig wenige Menschen auf dem Platz vor der Hauptbühne erschienen. Doch bevor es losgeht, ist es hier gerammelt voll. Das graue Segment dominiert scheinbar.

 

Mette Frederiksen sprach die Jugend an. Foto: Walter Turnowsky

Doch der Schein bei der Eröffnungsveranstaltung trügt ein wenig, wie sich im Laufe des Tages herausstellen. Den Veranstalterinnen und Veranstaltern ist es, wie geplant, geglückt, mehr junge Menschen anzuziehen.

Ode an die Jugend

Staatsministerin Mette Frederiksen (Soz.) ergriff die Gelegenheit und lobte in ihrer Eröffnungsrede die Jugend in Sachen Klima. Aber auch bei der Frage der Verschärfung der Gesetzgebung zu Vergewaltigung (Stichwort: samtykkelov) lobte sie diese, Druck gemacht zu haben. Ersteres ist richtig, zweiteres nur bedingt; da haben sich auch andere eingesetzt.

Wer da meint, neue Töne von Mette herauszuhören, liegt nicht ganz falsch. Wer dies in den Zusammenhang mit der Tatsache bringt, dass der Sozialdemokratie bei den Kommunalwahlen, vor allem in den großen Städten, jugendliche Wählerinnen und Wähler in Scharen davongelaufen sind, der denkt sicherlich meist übles über seine Mitmenschen – oder ist jemand, wie der Autor dieser Zeilen.

Anspruch und Wirklichkeit

Die Regierungschefin bedauerte, dass viele junge Menschen sich aus der demokratischen Debatte ausklinken würden und betrieb Ursachenforschung: der harte Ton, vor allem in den sozialen Medien, würde viele abschrecken. Eine Teilschuld verortete sie bei ihrer eigenen Kaste: Die persönlichen Angriffe auf Christiansborg seien zu barsch, das Hinterfragen der Motive des anderen zu häufig.

Die ganz Stadt ist Festivalplatz. Foto: Walter Turnowsky

Eine sympathische Analyse. Schade nur, dass sie diese scheinbar nicht mit ihrem Arbeitsminister Peter Hummelgaard (Soz.) geteilt hatte. Der hatte noch in der vergangenen Woche Venstre und deren Chef Jakob Ellemann-Jensen des Trumpismus beschuldigt.

Die Politiker-Tierschau

Von eben jenem Jakob Ellemann-Jensen kam kurze Zeit später die traurige Nachricht des Folkemøde: Er und seine Schwester Karen mussten abreisen, weil der Zustand ihres krebskranken Vaters Uffe sich akut verschlechtert hat. Wir werden womöglich schon sehr bald von einem der Granden der dänischen Politik Abschied nehmen müssen.

Man kann sein Folkemøde-Programm stramm durchplanen. Viele Menschen schnuppern jedoch auch in die eine oder andere Veranstaltung hinein. Foto: Walter Turnowsky

Doch zurück nach Allinge. Das Volkstreffen hat den Ruf, ebendies nicht zu sein. Schlendert man jedoch durch die Stadt, ist unschwer zu erkennen, dass das Volk in großer Anzahl erschienen ist. Auf dem Weg den Hafen entlang kommt mir Nahrungsmittelminister Rasmus Prehn (Soz.) entgegen und grüßt freundlich – wir kennen uns von früher. Kurz Zeit später dann auch Mette Frederiksen, die ihre Umweltministerin, die Bornholmerin Lea Wermelin (Soz.), begrüßt, während diese sich auf einem Schiff sonnt.

Folkemøde-Erfinder Bertel Haarder (Venstre) wünschte sich „eine Mischung aus Sommer-Volkshochschule, Roskilde Festival und Politiker-Tierschau“. Zumindest in puncto Tierschau scheint das Ziel erreicht worden zu sein.

Mette Frederiksen - doch ohne die Herren mit den Ohrstöpsel geht es nicht. Foto: Walter Turnowsky

Zuhören will geübt sein

Doch auch das mit der Volkshochschule scheint zu funktionieren. Lauscht man in die Debatten rein, so findet ein Meinungsaustausch im wahrsten Sinne des Wortes statt. Man hört sich gegenseitig zu, anstatt stur den eigenen Standpunkt zu verteidigen.

Man kann Bornholms Bürgermeister Jacob Trøst (Kons.) nur recht geben, der sich und uns wünscht, dass wir diese Diskussionskultur mit nach Hause und mit in die sozialen Medien nehmen.

Hoffen darf man ja.

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