Dansk-tysk med Matlok

Sein geheimer Wunsch heißt Merkel

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Sein geheimer Wunsch heißt Merkel

DN
Kopenhagen
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Professor Per Øhrgaard und Siegfried Matlok vor dem Verlagshaus Gyldendal, wo das Interview im hauseigenen Studio geführt wurde. Foto: DK4

„Deutschland muss seine Schwerkraft beachten“, meint Per Øhrgaard im Interview auf DK4.

Ist Deutschland Schurke oder Held in Europa? Mit dieser Frage beschäftigt sich einer der profiliertesten Deutschland-Kenner im Land, Professor Per Øhrgaard, in der Fernsehsendung „Dansk-tysk med Matlok“ auf DK4.  Seine Antwort: Deutschland muss stets seine politische und ökonomische Schwerkraft beachten und  gerade in dieser Zeit verantwortungsvoll auf Europa aufpassen.

Im Gespräch mit Siegfried Matlok – die Sendezeit wurde anlässlich des 30. Jahrestages der deutschen Einheit von 30 auf 50 Minuten erweitert –  formulierte Professor Øhrgaard das deutsche Problem wie folgt:  „Egal, ob sich die Deutschen so benehmen wie alle anderen Europäer, werden sie dennoch wegen der Größe ihrer Bevölkerungszahl und ihrer ökonomischen Stärke vom Ausland stets skeptisch beäugt“. Die Schwerkraft sei nun mal Deutschlands Stärke und Schwäche in Europa zugleich – ob man will oder nicht.  

Øhrgaard bezeichnete die deutsche Politik als „Schurke“ im Zusammenhang mit der Euro-Krise um Griechenland, gleichzeitig war Angela Merkel für ihn „Held“ in der Flüchtlingspolitik 2015. „Das war ihre Sternstunde in europäischer Verantwortung.“

Nach seinen Worten sei es „ein Glücksfall“ für Deutschland, dass das Land von einer Kanzlerin regiert werde, deren Person weder als aggressiv noch als unberechenbar eingestuft werden kann. Er begrüßt, dass Deutschland – wenn auch sehr spät – nun durch die Corona-Krise mit dem ökonomischen Aufbauplan die Wende geschafft habe und dadurch Mitverantwortung gegenüber den anderen europäischen Ländern übernommen habe.

Noch Anfang des Jahres sei er angesichts der deutschen Haltung pessimistisch gewesen, aber inzwischen habe Deutschland in der Krise „ein anderes Gesicht gezeigt als er es befürchtet habe“. Von entscheidender Bedeutung seien für die Zukunft Europas jedoch nicht Euro-Bonds, sondern die Sicherung der rechtsstaatlichen Prinzipien in den Institutionen der  EU, die in Polen und Ungarn bedroht werden. Es gäbe gefährliche, leider sogar faschistische Tendenzen in Europa, und gerade in dieser Situation müsse Deutschland Garant für die Rechtsstaatlichkeit in der Union bleiben.

„Mittelmäßige“ deutsche Einheit

Für Øhrgaard war Helmut Kohl der letzte Europäer im Kanzleramt, aber dennoch hat er insgeheim einen persönlichen Wunsch vor der Bundestagswahl 2021, nämlich  dass Angela Merkel doch noch weitermacht! 

Im Interview bewertet Per Øhrgaard die Durchführung der Wiedervereinigung vor 30 Jahren als „mittelmäßig“. Er sei sich mit seinem Freund Günter Grass in dieser historischen Frage nicht völlig einig gewesen, aber man müsse doch von einer „Einverleibung“ der ehemaligen DDR sprechen. Profitiert haben davon in erster Linie die westdeutschen Produkte. Die 40-jährigen Biografien der Ostdeutschen seien praktisch annulliert worden durch den Beitritt der ostdeutschen Länder in die alte Bundesrepublik.

Eine Wiedervereinigung nach Artikel 146 des Grundgesetzes, der eine Volksabstimmung ermöglicht hätte, wäre deutlich besser gewesen. Das Ergebnis hätte sicherlich auch eine hohe Zustimmung um die 90 Prozent gebracht, aber dann hätten die Ostdeutschen dies dennoch als ihren eigenen Beitrag zur Einheit gesehen. Ostdeutschland sei inzwischen zwar kein Süditalien, aber doch eine Art „Udkants-Tyskland“ geworden, kritisierte Øhrgaard.

Das Interview mit Per Øhrgaard sendet DK 4 am Dienstagabend um 19.15 Uhr – hier ist es in voller Länge zu sehen:

Øhrgaard mit großem G

Professor Emeritus Dr. phil. Per Øhrgaard, geboren 1944 in Kopenhagen, ist ein international anerkannter  Germanist, der besonders durch seine jahrelange Freundschaft mit dem Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass und durch die Übersetzung seiner Werke ins Dänische bekannt geworden ist. Der große G-Kenner – von Goethe und Grass – hat zahlreiche Bücher geschrieben, ist seit  2001 Mitglied von „Det Danske Akademi“  und seit  2004 Mitglied der „Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung“ in Darmstadt. Øhrgaard ist in den dänischen Medien Kommentator der deutschen und europäischen Politik.

Immer wieder bemüht sich Øhrgaard um eine Verbesserung der deutschen Sprache in Dänemark. Nicht aus deutschem Interesse, sondern aus eigenem dänischen Interesse, wie er stets betont.

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