Leitartikel

„Nordstream-Sprengungen: Erbse mit hohen Wellen“

Nordstream-Sprengungen: Erbse mit hohen Wellen

Nordstream-Sprengungen: Erbse mit hohen Wellen

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Apenrade/Aabenraa
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Deutsche Medien haben neue Informationen zu den möglichen Hintergründen der Sprengungen der Gasleitungen Nordstream 1 und 2 veröffentlicht. Senior-Korrespondent Siegfried Matlok wundert sich darüber, dass dänische Medien nicht früher auf die Ereignisse auf den „Erbsenínseln“ östlich von Bornholm aufmerksam geworden sind.

Die dänische Presse – die sich selbst halb-lustig und halb-ernst gerne als dänische Welt-Presse tituliert – war offenbar auf Tauchstation gegangen, als Kolleginnen und Kollegen der „deutschen Welt-Presse“ eine Spur in Verbindung mit der Sabotage gegen die beiden Nordstream-Pipelines am 26. September vor Bornholm gefunden zu haben glaubten. Als plötzlich die nur 22  Hektar große Insel Christiansø als verdächtiges Indiz für die Beteiligung der 15 Meter langen Jacht  „Andromeda“ sogar in der realen Weltpresse auftauchte, schlug es endlich auch Alarm in den dänischen Redaktionsstuben.

Christiansø als östlichster Punkt Dänemarks gehört zu einer acht noch kleinere Inseln umfassenden Schären-Gruppe mit dem früheren Namen „Ærtholmene“, die deshalb von deutschen Seglern gerne „Erbseninseln“ genannt werden. Haben die Investigativ-Journalistinnen und -Journalisten aus dem ARD-Hauptstadtstudio, von SWR und der Hamburger „Die Zeit“ bei ihrer gemeinsamen Recherche etwa eine Erbse unter ihrem Kopfkissen gefunden?

Da die Ermittlungen nach dem Anschlag auf Nordstream 1 und Nordstream 2 gemeinsam von den Sicherheitsbehörden in Dänemark, Schweden und Deutschland durchgeführt werden, kann man sich zunächst einmal darüber wundern, dass die deutschen Kolleginnen und Kollegen überhaupt keine dänische Zeitung eingeschaltet haben, was ja wohl aus vielerlei Gründen naheliegend gewesen wäre.

Die Story, wonach sechs Personen – fünf Männer und eine Frau – mit der in Rostock gecharterten Jacht „Andromeda“ nach Zwischenstopps auf Rügen und Christiansø den hochexplosiven Anschlag in 70 Meter Wassertiefe der Ostsee durchgeführt haben sollen, schlug verständlicherweise international hohe Wellen. Dass der Verdacht dabei auf eine pro-ukrainische Gruppe fiel, verlieh der Geschichte neuen Sprengstoff politischer Art:  wegen der Befürchtung, diese Theorie könne den bisher so starken Rückhalt im Westen für Hilfen für die Ukraine gefährden.

Alles nur „boblevand“?

Was zunächst als Meldung belächelt wurde – von journalistischem „boblevand“ war die Rede –, weil sich nach Ansicht von dänischen und deutschen Expertinnen und Experten eine solche gefährliche Operation von einer kleinen Gruppe von „Amateuren“ gar nicht durchführen ließ, bekam neue Nahrung, als bekannt wurde, dass das Bundeskriminalamt im Januar drei Tage lang die Jacht nach Spuren untersucht habe. Gleichzeitig wurde nun in der dänischen Presse nachgebohrt.

Und siehe da: Die dänische Polizei war auf Christiansø, um Nachforschungen in Sachen „Andromeda“ einzuleiten. Angesichts der sonst „offenen“ Kultur in der dänischen Polizei und in den Sicherheitsdiensten von PET und FE kann man sich darüber wundern, dass diese Untersuchungen auf der 18 km nordöstlich von Bornholm gelegenen Hauptinsel vor der Öffentlichkeit ganz geheim gehalten werden konnten.

Dass auf dem Tisch der Jacht angeblich Sprengstoff gefunden worden sein soll, das ist inzwischen ebenso an die mediale Wasseroberfläche gespült worden, wie die Meldung, dass ein Schiff der Bundesmarine der sogenannten Oste-Klasse sich just in den Tagen des Sprengstoffanschlags in der Nähe des „Tatorts“ befunden haben soll. Immerhin ein Flottendienstboot, das nicht nur als hochsensibles Auge, sondern auch als Ohr der Bundesmarine, ja der gesamten Bundeswehr gilt.

Die Behörden – in Deutschland die Bundesanwaltschaft – haben vor zu schnellen Schlussfolgerungen gewarnt und angekündigt, dass sie die Ermittlungsergebnisse veröffentlichen wollen, um dadurch neue Konspirationen vermeiden zu können. 

Ursprünglich hatten die an der Untersuchung beteiligten Länder den russischen Wunsch nach einer Mitwirkung strikt abgelehnt, aber vor dem Hintergrund der neuen Erkenntnisse hat Russlands Präsident Putin nun Dänemark offiziell ersucht, doch möglichst auch russische Expertise heranzuziehen. Putin hat dabei – übrigens bemerkenswert – selbst eine Beteiligung der Ukraine ausgeschlossen, jedoch davon gesprochen, dass eine solche Aktion nur von „staatlichen Akteuren“  –  also von Profis – ausgeführt werden konnte. Der Kreml verdächtigt – natürlich – die USA und Großbritannien.

Da letztlich – aus vielerlei Gründen – nicht damit zu rechnen ist, dass ein endgültiger Beweis („smoking gun“) für die Täterschaft nachgewiesen werden kann, und da es sich in diesem Fall auch um einen Propagandakrieg handelt, bleibt die dänische Reaktion auf Putins Anfrage abzuwarten.

Auch ohne jedes Verständnis für den russischen Angriffskrieg spricht jedoch einiges dafür, dass es besser wäre, die Russen mit an Bord zu holen, um ihnen so jedenfalls vor Bornholm etwas Wind aus den Segeln zu nehmen!

 

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