Geschichte

Magische Gegenstände: Wikingerinnen und Wikinger waren verrückt nach Büchern

Wikingerinnen und Wikinger waren verrückt nach Büchern

Wikingerinnen und Wikinger waren verrückt nach Büchern

Kopenhagen/Apenrade
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Der Mythos vom blutrünstigen Wikinger lebt, auch dank der Filmindustrie, weiter. Dabei liebten die Nordmenschen auch Bücher, wie die Forschung inzwischen weiß. Allerdings eher als Symbole für Macht und Reichtum, denn als Schmöker (Symbolfoto). Foto: Shahin Khalaji/unsplash

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Die Geschichtsforschung ist sich heute sicher: Obwohl die meisten von ihnen nicht lesen konnten, war den Menschen im Norden schon vor über tausend Jahren Literatur viel wert. Doch nicht unbedingt aus Gelehrsamkeit.

Heute werden die Wikingerinnen und Wikinger vor allem mit Raubzügen und Plünderungen in Verbindung gebracht.

Weniger bekannt ist, dass sie dabei äußerst angetan von Büchern waren – wenngleich sie sie auf eine etwas andere Art und Weise nutzten als wir es heute tun.

Eine neue Studie wirft Licht auf dieses Phänomen, das viel mit der gemeinsamen Geschichte der Menschen in den Gebieten zu tun hat, die heute Dänemark und Deutschland genannt werden.   

Die Wikinger "segeln" aus einer erfolgreichen Saison.
Mit Booten wie diesem Nachbau zogen die Menschen aus dem Norden damals in die Welt, um unter anderem wertvolle Bücher zu erbeuten (Archivfoto). Foto: Ute Levisen

Bücher haben die Menschen im Norden beeindruckt

Der Kurator des dänischen Nationalmuseums, Peter Pentz, versucht zu verstehen, wie die Wikingerinnen und Wikinger dachten. Bücher seien dabei ein Schlüsselelement, sagt er.

„Das ist eine Seite der Wikingerinnen und Wikinger, die noch nicht viel erforscht wurde. Wikinger und Bücher scheinen nicht zusammenzupassen. Aber es gibt eine Verbindung, und sie haben sich damals mit Büchern umgeben und sich zu ihnen verhalten“, so Pentz zur Nachrichtenagentur „Ritzau“.

Das sei deshalb interessant, weil viele der Schriften, die es über die Wikingerinnen und Wikinger in Europa gibt, den Eindruck vermitteln würden, dass sie „fast Analphabeten“ waren, so Pentz.

M. S. Elos Statue aus dem Jahre 1927 zeigt den Heiligen Ansgar vor der nach ihm benannten Domkirche in Kopenhagen. Foto: Christian Lindgren/Ritzau Scanpix

Sankt Ansgar wollte das Wort Gottes von Norddeutschland aus nach Dänemark bringen

Und es stimmt: Die damaligen Skandinavierinnen und Skandinavier konnten die Bücher wahrscheinlich auch gar nicht lesen. Doch sie schätzten sie trotzdem.

„Man muss bedenken, dass diese Bücher von Leuten geschrieben wurden, deren Häuser die Wikingerinnen und Wikinger niedergebrannt haben. Wie sie sie dann charakterisieren, ist von dieser Tatsache also nicht ganz unbeeinflusst“, sagt er.

Die Bücher waren für die Wikingerinnen und Wikinger auch deshalb so wertvoll, weil es sich in vielen Fällen genauso lohnte, Lösegeld für ein gestohlenes Buch zu verlangen wie für einen entführten Priester oder Bischof.

Pentz hebt auch die Geschichte vom Missionar Ansgar hervor, der als „Apostel des Nordens“ später zum Heiligen Sankt Ansgar gemacht wurde. Der auch „Ansgar von Bremen“ genannte Geistliche hatte die Mission, die nordischen Gebiete zu christianisieren.

Wikingermuseum In Lejre bei Roskilde Foto: Søren Bidstrup/Ritzau Scanpix

Gottes Wort verhallte – die Bücher blieben

Noch heute sind zahlreiche Kirchen, vor allem im nördlichen Deutschland, in Dänemark, Schweden und Norwegen nach ihm benannt. Darunter die katholische Domkirche Sankt Ansgar in Kopenhagen, die heute Bischofskirche für ganz Dänemark, die Färöer und Grönland ist.

In Flensburg gibt es mit der katholischen St.-Ansgar-Kirche und der Ansgarkirche der evangelisch-lutherischen Dänischen Kirche in Südschleswig gleich zwei nach ihm benannte Gotteshäuser.

Ansgar versuchte wieder und wieder, die Menschen im heutigen Dänemark zu Christinnen und Christen zu machen. So segelte er einst mit einem ganzen Gefolge von Menschen – und einer Reihe von Büchern – über den Großen Belt.

Was die Nordmenschen mitnahmen, als sie ihn trafen (und ausraubten), waren seine Bücher.

Bücher waren handgefertigte Kunstwerke

Da die Kunst des Druckens noch nicht erfunden war, wurden die Seiten der Bücher damals aus Kalbsleder gefertigt, sie wurden kunstvoll eingebunden und manchmal in besonders edlen Kisten aufbewahrt.

Als die Wikingerinnen und Wikinger aufbrachen, um ein Kloster zu plündern, konnten sie also schon an der Verpackung erkennen, dass es sich um ein sehr wertvolles Objekt handelte.

„Heute bewerfen wir einander mit Büchern, aber vor 1.000 Jahren hatte ein Buch einen ganz anderen Wert“, sagt Pentz.

„Bücher wurden nicht gedruckt. Sie waren alle handgeschrieben, also brauchte es eine Menge Arbeitsstunden. Und da sie kein Papier hatten, wurden die Bücher auf Pergament geschrieben, das aus Häuten hergestellt wurde“, erinnert er.Übrigens: Als Ansgar später in Hamburg ein Kloster und eine Schule gründete, plünderten Wikinger auch diese – und nahmen die wertvolle Bibliothek mit. Ansgar zog nach Bremen um – gab den Norden aber nicht auf. Er ließ eine Kirche in Haithabu (Hedeby) bauen, im schwedischen Birka und auch in Ripen (Ribe). Fromme Christen wurden die Wikingerinnen und Wikinger aber erst Generationen nach seinem Tod im Jahr 865.

Vielerorts, wie hier in Gudvangen in Norwegen, stellen Menschen in Freilichtmuseen das Leben der Wikingerinnen und Wikinger nach. Bücher sind bisher kein zentraler Bestandteil dieser Darstellungen (Archivfoto). Foto: redcharlie/unsplash

 

Bücher waren teuer – und galten als magisch

 

Die Menschen aus dem, was später Dänemark wurde, zog es zum Plündern nicht nur in den Süden – sondern auch über das Meer in den Westen. Dort, auf den Britischen Inseln, gab es etliche kunstvoll gefertigte Bücher.

Sie wurden in den Klöstern von England und Irland hergestellt, wo die Wikingerinnen und Wikinger wüteten – aber auch siedelten.

„Es wird geschätzt, dass bis zu 1.000 Kalbshäute auf eine Bibel kommen können. Das sagt uns ein wenig über den Wert eines solchen Buches allein an Rohstoffen“, sagt Peter Pentz.

Zugleich glaubten die Wikinger aber auch, dass Bücher, vor allem christliche, magische Eigenschaften hatten. Diese Kraft, die den Büchern zugesprochen wurde, zog sie besonders an.

Das Buch als Waffe

„Wir haben nur die Berichte der christlichen Autoren darüber, aber dort geht es um den Glauben, dass das Buch Menschen körperlich schaden kann, fast wie eine Waffe“, erzählt Pentz.

„Aus Quellen in Irland wissen wir, dass auch die Christen das Buch auf diese Weise sahen. Wenn die Iren vor einer Schlacht in den Krieg zogen, nahmen sie ein Buch mit und trugen es an die Front. Diese Denkweise war den Wikingerinnen und Wikingern nicht fremd.“

Tatsächlich deutet vieles darauf hin, dass die Buchkultur dazu beitrug, die Art und Weise, wie die Wikingerinnen und Wikinger ihre Runen schrieben, zu verändern, und insbesondere Harald „Blauzahn“ Gormsson war eine treibende Kraft hinter dieser Entwicklung.

Er war es, der nach seiner Taufe im Jahre 965 in der Nähe von Flensburg dafür sorgte, dass die Missionare aus Hamburg vollführen konnten, was Ansgar zuvor nicht gelungen war: Ganz Skandinavien zu christianisieren.

Obwohl Peter Pentz bezweifelt, dass Harald Blauzahn seinem Sohn Sven Gabelbart Gutenachtgeschichten vorgelesen hat, hatten die Bücher für den einen Wert und stärkten sein Image, sagt Peter Pentz.

Die Runensteine von Jelling: Der größere, Harald Blauzahn zugeschriebene, Stein enthält eine Christusdarstellung (Archivfoto). Foto: Henning Bagger/Ritzau Scanpix

Ein Beispiel dafür seien die berühmten Jelling-Steine, die dort stehen, von wo aus Harald, so wird angenommen, sein dänisches Königreich damals regierte. Dort sind die Runen horizontal geschrieben, obwohl sie früher von oben nach unten geschrieben wurden. Dänemark wurde in die europäische Schriftkultur eingeführt.

„Die Bücher haben eine große Rolle dabei gespielt, wie die Wikinger ihre Kunst gemacht haben. Harald Blauzahn, der hinter dem großen Jelling-Stein steckt, wollte als europäischer Fürst auftreten. Also gestaltete er seinen Stein wie ein großes Buchgemälde“, weiß Pentz zu berichten.

Das Forschungsprojekt zum Thema Bücher in der Wikingerzeit wurde in der wissenschaftlichen Zeitschrift „Medieval Archeology“ veröffentlicht und von der Krogager Stiftung unterstützt.

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