Jugend musiziert

Emil will sich auf dem Klavier nach Oslo spielen

Emil will sich auf dem Klavier nach Oslo spielen

Emil will sich auf dem Klavier nach Oslo spielen

Kopenhagen
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Emil Zierfuss hofft, in den Landeswettbewerb in Oslo einzuziehen. Foto: Walter Turnowsky

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Schülerinnen und Schüler der Petri Schule in Kopenhagen nehmen am Wettbewerb „Jugend musiziert“ teil. Es geht um den Einzug in die nächste Runde. Da kann man als 15-Jähriger vor dem Auftritt schon etwas gespannt sein – und Mama erst.

Eine Fahne vor der Sankt Petri Kirche weist am Donnerstag den Weg: Im Christian-V.-Saal findet die regionale Abteilung des bundesweiten Wettbewerbs „Jugend musiziert“ statt. Die deutschen Auslandsschulen und damit auch die Petri Schule nehmen ebenfalls teil.

Aus der Tür kommt der neunjährige Paul Jevgeni Sievers, die Mütze bereits aufgesetzt, mit seinen Eltern. Er hat am Flügel der aus vier Personen bestehenden Jury Beethoven, Debussy und Aram Chatschaturjan vorgeführt. Nach seinem Gesichtsausdruck zu schlussfolgern – und vor allem dem von Mama und Papa – ist es gut gelaufen.

„Es ging okay, meint der junge Mann gelassen. Und auf die Nachfrage „Nur okay“?: „Ich hätte ein wenig besser spielen können. Ich habe ein paar kleine Fehler gemacht, aber ansonsten war es ganz gut.“

Paul Sievers ist mit seinem Auftritt (fast) zufrieden. Foto: Walter Turnowsky

Die Vorbereitung 

Der 15-jährige Emil Zierfuss wird sich in 50 Minuten an den Flügel setzen. In einem Übungsraum in der Petri Schule gibt er seinem Auftritt den letzten Schliff.

„Ich übe die schweren Stellen, aber spiele nicht die ganzen Stücke. Das hebe ich mir für das eigentliche Konzert auf“, wird er nach seinem Auftritt verraten. Für ihn geht es darum, genug Punkte zu holen, um in den Landeswettbewerb einzuziehen. Der findet für die Auslandsschulen aus Nord-, Ost- und zum Teil auch Westeuropa in Oslo statt.

„Das Aufwärmen lief supergut“, berichtet Emils Mutter Astrid Zierfuss im Anschluss an den Auftritt.

Während Emil in der Abteilung für die Jugend dabei ist, nimmt Paul in der Abteilung für die Jüngsten, „Kinder musizieren“, teil. Ein Jahr lang hat er das Programm geübt, das er vorgespielt hat. Das fleißige Üben sei „eigentlich recht lustig“, meint er, und das Ziel ist auch bereits gesteckt: „Ich hoffe zu gewinnen.“ Doch da muss er sich noch bis Sonnabend gedulden, bis er das Votum der Jury kennt.

Die Jury

Die berät über einem kleinen Frokost in einem Raum die Auftritte des Vormittags. Die Jugendlichen ab zehn Jahren aufwärts werden am Ende des Tages eine Rückmeldung zu ihrem Auftritt bekommen, die Punktzahl, wie erwähnt, noch nicht.

„Bei unserer Bewertung schauen wir natürlich auf das Können des Jugendlichen. Aber auch die Schwierigkeit der Stücke, die Variation der Epochen und Tempi spielen eine Rolle“, plaudert Marie-Louise Bodendorff, selbst Pianistin, aus dem Nähkästchen.

Ihr Kollege Nikolaus von Bemberg ergänzt: „Wir möchten den jungen Menschen etwas mitgeben, mit dem sie weiterarbeiten können. Wir müssen die Balance zwischen den strengen Juroren und nützlichen Hinweisen für die jungen Musikerinnen und Musiker finden.“

Das Warten

Es ist Zeit für den Auftritt von Theodor Axtmann Petersen geworden, einer der insgesamt 73 Teilnehmenden. Die Leiterin der Sankt Petri Musikschule, Pernille Petersen, leitet die Veranstaltung mit sicherer Hand, stellt ihn und sein Programm vor. Noch eine Information der Musikschulleiterin, dass Aufnahmen – zur Enttäuschung mancher Eltern – während der Auftritte nicht gestattet sind. Währenddessen begibt sich Emil in Richtung des Saals im Seitenschiff der Kirche.

„Ich fand, ich hatte alles im Übungsraum fertig geprobt“, meint er später.

Jugend musiziert

Der Wettbewerb findet in diesem Jahr zum 60. Mal in Deutschland statt.  In der ersten Runde werden regionale Wettbewerbe ausgerichtet. Wer genug Punkte von der Jury erhält, qualifiziert sich für den Landeswettbewerb, der in den einzelnen Bundesländern abgehalten wird.

Die deutschen Auslandsschulen können auch an dem Wettbewerb teilnehmen. Für sie wird der Landeswettbewerb unter den Schulen ausgetragen, die sich in derselben internationalen Region befinden.

Die Landeswettbewerbe zählen als Qualifikation für den Bundeswettbewerb.

Der Wettbewerb „Kinder musizieren“ für Kinder bis neun Jahre funktioniert als Vorbereitung für „Jugend musiziert“.

Theodor Axtmann Petersen: erleichtertes Lächeln nach dem Auftritt Foto: Walter Turnowsky

Im Saal sieht man Theodor, während er sich an den Flügel setzt, die Konzentration an. Er rückt den Hocker zurecht, bis er genau richtig steht und fokussiert noch einige Augenblicke lang.

„Bei meinem ersten Stück war das Tempo entscheidend, daher habe ungefähr zehn Sekunden lang das Tempo im Kopf durchgespielt“, wie er später erzählen wird.  

Und danach greift er in die Tasten. Doch das sieht Emil nicht, denn er wartet vor der Tür auf seinen eigenen Auftritt.

„Ich denke an das Stück, das gerade gespielt wird, und gleichzeitig konzentriere ich mich auf die Stücke, die ich selbst spielen möchte.“

Der Auftritt

Nach gut 15 Minuten kann Theodor den Applaus entgegennehmen. Die Anspannung ist weg, ein erleichtertes Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus.

„Ich bin froh, dass ich gut durchgekommen bin und zufrieden mit dem, was ich gespielt habe. Ich denke, ich habe gute Chancen, in den Länderwettbewerb einzuziehen, aber man weiß natürlich nie“, meint er.

Theodor und Emil tauschen sich nach dem Auftritt aus. Foto: Walter Turnowsky

Emil geht vor zu Pernille Petersen, erklärt ihr noch kurz die Reihenfolge seines Programms. Als sie dann bei der Vorstellung doch zwei Stücke vertauscht, ruft er ihr die richtige Reihenfolge zu. Auch als er zum Flügel geht und sich verbeugt, merkt man ihm keine Nervosität an.

Anders ist das bei Mama Astrid, die hinten im Saal Platz nimmt: „Ich war in seinem Namen sehr nervös, denn ich weiß, wie viel Arbeit er da reinsteckt.“

Der Lieblingskomponist

Emil legt mit Chopins Etüde in As-Dur los, blättert danach kurz in seinen Noten und macht mit dem 130 Jahre älteren Jean-Philippe Rameau weiter. Mit Lili Boulanger hat er auch eine Frau in seinem Programm.

„Es gibt eine Reihe von Anforderungen an das Programm, und meine Musiklehrerin hat mir dabei geholfen, es zusammenzustellen. Aber vor allem war mir wichtig, ein Stück spielen zu können.“

Und bei genau dem Stück ist er jetzt angekommen: Frans Liszts „Un Sospiro“.

„Ich mag es, wenn die Finger über die Tangenten fliegen. Ich finde diese schwermütigen großen Stücke manchmal etwas langweilig. Es war supertoll, Liszt zu spielen.“

Emil Zierfuss liebt es, Franz Liszt zu spielen. Foto: Walter Turnowsky

Mit dem Dänen Willy Stolarczyk spielt er zum Schluss noch einen zeitgenössischen Komponisten, mit dem es noch dazu eine besondere Bewandtnis hat, auf die wir noch zurückkommen werden.

Die Erleichterung

Als er nach dem Applaus lächelnd nach hinten geht, kann seine Mutter einen Stoßseufzer der Erleichterung nicht zurückhalten. Sie sei die Nervösere von den beiden, gesteht sie. Doch ähnlich wie Emil hat auch sie fleißig geübt.

„Ich bin besser darin geworden. Früher saß ich so“, erklärt sie und hält sich die Hände vor das Gesicht. Doch jetzt ist sie erleichtert: „Ich finde, es ist richtig gut gelaufen.“

Das Gespräch findet im Vorzimmer statt, denn im Saal wird bereits für die Perkussionisten umgebaut. Emil analysiert seinen Auftritt. Auch er findet, es ist alles in allem gut gelaufen, doch ähnlich wie der kleine Paul vor ihm macht er auch ein paar kleine Fehler aus.

„Wenn man vor einer Jury spielt, bemerkt man die eigenen Fehler mehr und ärgert sich vielleicht auch über sie. Bei einem Konzert freut man sich nur darüber, spielen zu dürfen.“ Und damit erklärt er auch gleich, warum sich die harte Arbeit für ihn auszahlt.

Der Opa

Es dürfte wohl auch eine Rolle spielen, dass die Musik in seiner Familie Tradition hat: Der bereits erwähnte Komponist Willy Stolarczyk ist sein Opa. „Der hat ihn vor dem Auftritt angerufen und alles Gute gewünscht“, verrät Astrid Zierfuss.  

Ed Sheeran auf Schlägel-Instrumenten? Aber logisch! Foto: Walter Turnowsky

Im Saal erklingen die Töne der Mallet- oder Schlägel-Instrumente. Zunächst sind die Kinder dran, und siehe da, da klingt etwas so gar nicht klassisch. Außer man zählt Ed Sheeran mittlerweile zu den Klassikern. Für die bis zu neunährigen ist es ausschließlich ein regionaler Wettbewerb, daher sind die Anforderungen an ihr Programm freier.

Die Vorgaben

Anders ist das für die vier Jugendlichen, dies sich danach an die Instrumente stellen. Annika Elsäßer, Martha Bierbaum Oehlenschläger, Linus Dahlerup Bornfeld und Zacharias Sandell Kühn wollen wie Emil das Rennen machen, um in Oslo spielen zu dürfen.

„Für die Perkussionisten bedeutet das, dass sie ausschließlich neue klassische Musik spielen dürfen“, erläutert Musikschulleiterin Pernille Petersen.

Für das Werk „In C“ von Terry Riley gibt es noch nicht einmal Noten, sondern nur eine Skizze. Über das sich meditativ wiederholende „C“ hinweg improvisieren die jeweils anderen drei Musikerinnen und Musiker ihr Spiel. Keine zwei Vorführungen des Werkes klingen gleich.

Während des Vorspielens darf nicht fotografiert werden. Deshalb gibt es Ed Sheeran danach als Zugabe für die Mamas und Papas noch einmal. Foto: Walter Turnowsky

Die Spannung

Ob ihre Version vom Donnerstag die Jury überzeugt hat, wissen die vier am Sonnabend. Emil Zierfuss ist bereits Routinier, er hat mehrfach an „Jugend musiziert“ teilgenommen und hat es auch in den Landeswettbewerb geschafft. Dennoch wartet auch er gespannt. „Es würde mich ärgern, wenn ich es nicht schaffen sollte“, gesteht er.

Der Landeswettbewerb ist die Qualifikation für das große Finale, den Bundeswettbewerb. Doch das schaffen nur die wenigsten.

„Das Niveau beim Bundeswettbewerb ist sehr, sehr hoch“, betont Petersen.

Doch egal, wie es Emil ergehen wird, darf er sich auf etwas freuen, das seinen Kameradinnen und Kameraden nicht vergönnt ist: Opa Willy hat versprochen, ein etwas längeres Werk eigens für ihn zu komponieren.

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