Leitartikel

„Corona: Einfühlsam auf Distanz gehen“

Corona: Einfühlsam auf Distanz gehen

Corona: Einfühlsam auf Distanz gehen

Apenrade/Aabenraa
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Manche Menschen agieren in Corona-Zeiten rücksichtslos. Aufklärung allein aber hilft nicht weiter, zeigt eine Studie – Empathie wird vor allem durch Begegnungen mit Betroffenen erzeugt. Eine hilfreiche Erkenntnis auch für andere Bereiche, meint Cornelius von Tiedemann.

… denn sie wissen nicht, was sie tun: Manche, nicht nur junge, Menschen, halten sich nicht an die Corona-Richtlinien. Sie gehen mit der gesamten Familie oder der Clique in den Supermarkt, sie halten sich am Kühlregal nicht an den Abstand, nutzen keine Einmalhandschuhe in der Gemüseabteilung, desinfizieren sich nicht die Hände, draußen gehen sie dicht an einem vorbei, kommen einem sehr nahe, wenn sie mit einem sprechen. Ist diesen Leuten denn alles egal?

Manchen vielleicht. Doch wahrscheinlicher ist es, dass sie sich einfach nicht vorstellen können, was eine Corona-Infektion für andere, weniger gesunde Menschen bedeuten kann. Und – das darf nicht vergessen werden, auch, was eine „einfache“ Grippeinfektion für Senioren und Menschen mit schwachem Immunsystem für Folgen haben kann.

Auch wenn die Infektionszahlen derzeit noch recht hoch sind, ist der Super-GAU in Dänemark bisher ausgeblieben. Ja, es sind sogar insgesamt weniger Menschen gestorben als in den Vorjahren. Vielleicht auch deshalb, weil wir mehr Rücksicht aufeinander genommen haben  – oder weil wir uns voreinander in Acht genommen haben – und es (deshalb) bisher auch noch keine Grippewelle gegeben hat?

Hier führen zwei unterschiedliche Verhaltensmuster letztlich zum selben Ergebnis: Die anderen vor sich selbst schützen und sich selbst vor den anderen schützen.

Für erstere Verhaltensweise, die das soziale Leben für alle einfacher und den Selbstschutz leichter macht, gibt es keine Garantie. Wir können uns nicht komplett darauf verlassen, dass andere Verantwortung für uns übernehmen. Doch gerade das wird in der Corona-Zeit eingefordert – und das setzen wir, die wir uns über vermeintlich rücksichtsloses Verhalten zum Beispiel im Supermarkt ärgern, voraus.

Einer vom deutschen Psychologen Stefan Pfattheicher von der Uni Aarhus geleiteten aktuellen Studie zufolge halten sich Menschen, die besonders empathisch sind, also ein hohes Einfühlungsvermögen haben, besonders genau an die Abstandsregeln. Das ist kaum ein überraschendes Ergebnis. Doch die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben auf dieser Erkenntnis aufbauend weiter experimentiert und herausgefunden, dass die bloße Information über die Folgen einer Covid-19-Erkrankung für besonders verletzliche Personen die Menschen kaum dazu bringt, ihr Verhalten zu ändern. Wissen allein reicht also nicht aus.

Und hier kommen die Wissenschaftler zu einem Schluss, der sich auch auf andere Lebensbereiche übertragen lässt: Menschliches Mitgefühl und somit die Bereitschaft, die Verhaltensregeln einzuhalten, lassen sich steigern, wenn den Menschen nicht nur Informationen und Zahlen gezeigt werden – sondern wenn sie einer betroffenen Person begegnen.

So, wie wir wissen, dass zum Beispiel Ausländerfeindlichkeit besonders dort floriert, wo es kaum Menschen mit Migrationshintergrund gibt, wo also die Berührung fehlt, zeigt sich auch hier wieder, dass menschliche Nähe Empathie schafft und Verhaltensweisen ändern kann – oft und meistens besser als Argumente, Vorwürfe oder gar Strafen.

Gesichter, sagt Pfattheicher, rufen Empathie hervor und können Verhaltensweisen ändern.

Die blauen Abstands-Buttons, die es jetzt in den Apotheken landesweit gibt, sind ein guter Schritt in diese Richtung. Sie appellieren an das Mitgefühl der Menschen – und an ihr Gewissen.

Das bedeutet nicht, dass Politik und Behörden in Situationen wie dieser auf Fakten und nachvollziehbare Informationen verzichten und künftig nur noch emotional argumentieren sollten. Es zeigt lediglich, dass wir diejenigen, die über reine Informationen nicht zu mehr Verantwortungsbewusstsein zu bewegen sind, nicht verdammen – sondern sie auf andere Weise bewegen müssen. Damit sie spüren, was sie da tun.

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Cornelius von Tiedemann
Cornelius von Tiedemann Stellv. Chefredakteur
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