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„Eine Studie, die nachdenklich stimmt“

Eine Studie, die nachdenklich stimmt

Eine Studie, die nachdenklich stimmt

Kopenhagen
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Es gibt immer mehr ältere Obdachlose in Dänemark. Das ist eine sehr bedenkliche Entwicklung, meint Walter Turnowsky.

Der 2018 verstorbene Sänger Kim Larsen sagte einst, er verstehe nicht, wozu Regierungen gut sein sollen, wenn nicht um die Schwachen zu schützen. Die Starken würden schon zurechtkommen.

Eine Meldung des Nachrichtenbüros „Ritzau“ deutet darauf hin, dass wechselnde dänische Regierungen, gemessen an diesem Maßstab, nicht in allen Punkten gut abschneiden. Die Anzahl der Obdachlosen, die älter ist 50 Jahre sind, hat sich im Lauf von zehn Jahren verdoppelt, zeigt eine Studie, die der Rat für Sozial Benachteiligte (Rådet for Socialt Udsatte) ausarbeiten ließ.

Die „Unsichtbaren“

Hinter dieser Zahl verbergen sich 1.545 Menschen, 1.545 Schicksale. Meistens nehmen wir diese Menschen nur am Rande wahr, zum Beispiel wenn sie vor dem Supermarkt die Zeitschrift „Hus Forbi“ verkaufen.

Auch in der politischen Diskussion spielen die Menschen, die am Rand unserer Gesellschaft leben, nur selten eine Rolle. In der Hierarchie der Themen sind sie fast so niedrig angesiedelt wie ihre gesellschaftliche Position.  

Die Studie sollte aus mehreren Gründen ein Anlass zum Nachdenken sein. Zunächst ist da der offensichtliche: Menschen, die im Alter von 55 oder 65 Jahren obdachlos sind, denen geht es dreckig. Wie die Vorsitzende des Benachteiligten-Rates, Vibe Klarup, sagt, haben gerade ältere Obdachlose häufig erhebliche gesundheitliche und psychische Probleme. Es bedarf wenig Fantasie, sich auszumalen, dass Schlafen im Freien oder in Obdachlosenasylen diese Probleme nicht mindert, sondern im Gegenteil noch deutlich verstärkt.

Sucht und psychische Probleme

Wir, die nicht davon betroffen sind, können uns wohl nur schwer ausmalen, wie hart das Leben auf der Straße ist. Was es bedeutet, wenn die Sucht einen bereits in den frühesten Morgenstunden wachrüttelt, man täglich einige Kronen zusammenkratzen muss, um die Entzugserscheinungen und den Schmerz zu dämpfen. Wir wissen nicht, welche Dämonen ihre Psyche heimsuchen. Die überwiegende Mehrheit der Obdachlosen hat ein psychisches Leiden.

Eben deshalb sollten wir mit Urteilen über die Männer und Frauen, die ihre Habseligkeiten in Plastiktüten umhertragen, zurückhaltend sein. Dagegen sollten wir darüber nachdenken, warum es immer mehr ältere Obdachlose gibt. Warum wir also anscheinend Menschen immer länger auf der Straße leben lassen. Es deutet darauf hin, dass die öffentlichen Angebote zumindest einen Teil der Obdachlosen immer schlechter erreichen.

Keine einfachen Lösungen

Und dabei habe ich bislang noch gar nicht jene erwähnt, die in der Studie deshalb nicht auftauchen, weil sie nicht mehr am Leben sind. Obdachlose Menschen sterben 20 Jahre früher als andere. Der Anteil der Obdachlose Frauen, die sich das Leben nehmen, ist 15-mal so hoch wie in der Durchschnittsbevölkerung. Bei Männern ist der Faktor sieben.

Gewiss, das Probleme ist vielschichtig und lässt sich nicht mit einem Handstreich lösen. Auch können wir uns einreden, das Problem sei in erster Linie ein Großstadtphänomen. Doch sind diese Menschen ja nicht allen Fällen in Kopenhagen oder Aarhus aufgewachsen.

Und letztlich sagt es nicht nur etwas über eine Regierung, sondern auch über eine Gesellschaft aus, wenn es nicht glückt, die Schwächsten besser zu schützen.

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