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Gleichgeschlechtliche deutsche Paare erfüllen sich Kinderwunsch in Dänemark

Gleichgeschlechtliche deutsche Paare erfüllen sich Kinderwunsch in Dänemark

Viele Deutsche erfüllen sich ihren Kinderwunsch in Dänemark

Friederike Reußner/shz.de
Husum/Aarhus
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Nadine (l.) und Christin Schimmer mit ihrer Tochter Ava (mittig) und den Zwillingen Fenna und Jale. Das Husumer Paar hat sich seinen Kinderwunsch in einer Klinik in Dänemark erfüllt. Foto: Friederike Reußner/shz.de

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Nadine und Christin Schimmer haben ihre drei Töchter durch Samenspenden in Dänemark bekommen. Warum gleichgeschlechtliche Paare den Kinderwunschkliniken im Nachbarland die Türen einrennen.

Ava weiß, dass sie durch eine Samenspende entstanden ist. Also, zumindest theoretisch. Ihren Müttern ist es wichtig, offen damit umzugehen, wie ihre Familie entstanden ist. Ava allerdings findet das mit ihren sechs Jahren relativ uninteressant, genau wie die dreijährigen Zwillingsschwestern Fenna und Jale. Weil die drei Mädels, die an diesem Wintertag alle zu Hause im Husumer Einfamilienhaus durchs Wohnzimmer toben, aber irgendwann auf Kinder und Erwachsene treffen könnten, denen nicht egal ist, wie andere Menschen ihren Kinderwunsch erfüllen, haben sich ihre Mütter dazu entschlossen, ihre Geschichte transparent zu machen.

Christin und Nadine Schimmer sind beide gebürtige Nordfriesinnen. Als Jugendliche lernten sie sich im Rödemisser Spielmannszug kennen, als junge Erwachsene wurden sie ein Paar. „Uns war immer klar, dass wir eine Familie gründen wollen“, erzählt Nadine (40). Das Paar machte die klassischen Schritte: Tobte sich aus, kaufte ein Haus, verpartnerte sich erst und heiratete später, als das in Deutschland erlaubt wurde. 2015 dann wurde die Familienplanung konkreter: „Wir haben uns recht schnell für eine Kinderwunschklinik in Dänemark entschieden, weil es zu dem Zeitpunkt überall hieß, dass es für gleichgeschlechtliche Paare in Deutschland durchaus schwieriger ist, behandelt zu werden.“

70 Prozent der Kundinnen sind Deutsche

Auch wenn sich die Gesetzgebung in Deutschland seit 2018 geändert hat und heute auch gleichgeschlechtliche Paare und alleinstehende Frauen ihren Kinderwunsch in Deutschland einfacher erfüllen können, reisen viele von ihnen weiterhin nach Dänemark: 70 Prozent ihrer Kundinnen seien Deutsche, schätzt Line Lorenz, die in der Diers-Klinik in Aarhus arbeitet und den schönen Berufstitel Fertilitätskoordinatorin trägt. Lorenz führt Erstgespräche mit den Frauen und klärt sie über die Behandlung auf. Die beschränkt sich in der Diers-Klinik auf die sogenannte Insemination: Wenn die Kundin ihren Eisprung hat, wird ihr Sperma eines Samenspenders in die Gebärmutter eingeführt.

Bei den Schimmers klappt es beim ersten Versuch

„Es heißt, man solle sich auf acht Versuche einstellen“, erinnert sich Christin Schimmer. Doch mit Ava klappte es gleich beim ersten Anlauf – Christin, die alle drei Kinder des Paares ausgetragen hat, ist prompt schwanger. Den Spendersamen hatten sich die Schimmers zuvor aus einer Liste der Klinik ausgesucht. „Wir haben da schon drauf geachtet, dass er mir möglichst ein wenig ähnlich sieht, also von der Haarfarbe und Größe her“, sagt Nadine Schimmer.

Diese Auswahlkriterien würden von lesbischen Paaren oft genannt, weiß Fertilitätskoordinatorin Lorenz: „Alleinstehende Frauen gucken dagegen eher nach Spendern, die Eigenschaften haben, die sie auch an einem Partner attraktiv fänden.“ „Es gab auch Spender, von denen man sich Kinderfotos hätte angucken können, aber das war für uns nicht wichtig“, erzählt Christin Schimmer. Wichtiger sei gewesen, dass der Spender genügend Sperma abgegeben hat, sodass er auch der Erzeuger von Avas Geschwistern wird. Auch die Zwillinge wurden in der Klinik in Aarhus gezeugt.

Von wem haben die Kinder was?

Die drei kleinen genetischen Halb-Däninen malen am Wohnzimmertisch, während „Mama“ (Christin) und „Nana“ (Nadine) erzählen. Wie ist das für die Mutter, deren Gene sich nicht in den Kindern finden? „Natürlich fragt man sich oft, woher haben die jetzt dieses oder jenes“, sagt Nadine. Aber Gene seien ja nun mal nicht alles: „Oft merke ich, dass die Kinder Redewendungen oder Verhaltensweisen von mir übernommen haben.“ Das sei schon witzig, fügt Christin hinzu: „Freunde oder Verwandte sagen oft: Das haben sie aber von Nadine.“

Offene Samenspende: Ab 18 Kontakt?

Was die Mädels vom Spender haben, könnten sie eventuell herausfinden, wenn sie 18 sind: Die Schimmers haben sich für eine sogenannte offene Samenspende entschieden, sodass ihre Töchter mit dem Mann Kontakt aufnehmen können, sobald sie volljährig sind. „Das war uns wichtig, sie sollen wissen, woher sie kommen“, erklärt Christin Schimmer. Auch von Gesetzes wegen sind die Schimmers die Eltern der Mädchen: Nadine hat alle drei adoptiert – besonders beim ersten Kind sei dies ein langwieriges und aufwändiges Verfahren.

Ein Prozedere, das ein anderer wichtiger Kundenstamm der dänischen Kliniken nicht durchlaufen muss: Sogenannte Solo-Mamas, die sich dort ihren Kinderwunsch erfüllen. „Alleinstehende Frauen, die zu uns kommen, werden auch in den letzten Jahren immer mehr“, weiß Line Lorenz. Die Single-Mamas müssten in einer deutschen Klinik eine sogenannte Garantieperson vorweisen, die im Zweifelsfall für den Unterhalt des Kindes aufkommt. „In Dänemark ist das nicht nötig.“

Liberaler ist das Nachbarland auch in Sachen Eizellenspende, die in Deutschland verboten ist. Unter den Frauen, die sich zu unserer Recherche zur Kinderwunsch-Behandlung in Dänemark gemeldet haben, ist auch eine Frau, die viel zu früh in die Wechseljahre kam und deshalb unfruchtbar ist. Durch eine Eizellenspende in Dänemark habe sie nun ein fast zweijähriges Kind, schreibt sie – nun würden ihr Mann und sie das Geschwisterchen planen.

Viele Frauen würden der Klinik verbunden bleiben und zum Beispiel über soziale Netzwerke Kontakt halten, erzählt Line Lorenz. Und auch die Schimmers haben eine besondere Beziehung zu Aarhus: „Wir wollen auf jeden Fall mit den Mädchen einmal hinfahren. Damit sie sehen, woher sie kommen.“

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