100 Jahre Deutsche Minderheit

Ein Koffer und seine Geschichte – über Kriegsdienst und Kriegsgefangenschaft

Ein Koffer und seine Geschichte – über Kriegsdienst und Kriegsgefangenschaft

Ein Koffer und seine Geschichte – über Kriegsdienst und Kri

Hauke Grella
Hauke Grella Museumsleiter
Sonderburg/Sønderborg
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Auf dem Bild ist Hans Jürgen Larsen rechts zu sehen, links daneben sein Nachbar und dann seine Eltern. Foto: Deutsches Museum

Viele Gegenstände im Deutschen Museum Nordschleswig erzählen Ausschnitte aus Hans Jürgen Larsens Leben.

Aus Sicht der deutschen Minderheit ist die Geschichte von Hans Jürgen Larsen eine spezielle Geschichte. Beschäftigen wir uns im historischen Sinne doch eher mit der Rechtsabrechnung in Dänemark und der damit verbundenen Internierung im Sonderburger Schloss und dem Faarhus-Lager. In Deutschland hingegen wäre die Geschichte von Larsen, würde man seine Herkunft aus Nordschleswig außer Acht lassen, eine „klassische“ Nachkriegsgeschichte.

Hans Jürgen Larsen wurde 1925 in Loit-Schauby/Loit Schauby geboren. Sein Vater, Peter Larsen, sollte später Leiter des Organisationsamtes der NSDAP-Nordschleswig werden. Nach dem Besuch der Schaubyer Dorfschule wechselte er 1935 auf das Deutsche Gymnasium in Apenrade. 1941 bestand er das Realexamen/Realeksamen im Alter von 16 Jahren. Danach führte ihn der Weg noch Plön, an die Nationalpolitische Erziehungsanstalt. Dabei handelte es sich um eine Art Eliteschule der Nationalsozialisten. Am 1. April 1943 folgte die Einberufung zur 8. Panzer  Grenadiere Ersatz Kompanie Leibstandarte SS Adolf Hitler, nachdem er sich, als dänischer Staatsbürger, zuvor freiwillig gemeldet hatte.

Viele Gegenstände im Deutschen Museum Nordschleswig erzählen Ausschnitte aus Hans Jürgen Larsens Leben. So stellt das deutsche Museum in Sonderburg unter anderem  seine Uniform der Deutschen Jungenschaft Nordschleswigs. Darüber hinaus hat er seine Erinnerungen aus Jugendjahren sowie einige Erinnerungen aus den Kriegsjahren und aus den Nachkriegsjahren niedergeschrieben. Auch wenn diese persönlichen Erinnerungen subjektiver Natur sind und deswegen im historischen Sinne mit Vorsicht zu behandeln sind, so lässt sich doch einiges aus ihnen ableiten.

Hans Jürgen Larsens Koffer Foto: Deutsches Museum

Gerade seine Jugenderzählungen verdeutlichen, welchen großen Stellenwert die 1933 gegründete Deutsche Jungenschaft in seinem Leben einnahm. Auch lässt sich aus den Erzählungen einiges zur Freiwilligkeit, betreffend der Meldung zum deutschen Kriegsdienst, ableiten.

Eine Wahl gehabt?

Oberflächlich besehen könnte man schnell die Meinung einnehmen, dass Hans Jürgen Larsen keine Wahl gehabt hätte. Sein Vater, der in einer der zentralen Positionen der NSDAP-Nordschleswigs stand, war mit federführend für die Anwerbung und den deutschen Kriegsdienst verantwortlich. Hätte es da eine Wahl für dessen Sohn gegeben? Seine damalige Begeisterung wird aber in seinen Erinnerungen greifbar. „… wo schon im zweiten Jahr europaweit siegreich gekämpft wurde, befürchteten wir Jungen, daß der Krieg beendet sein, könnte, bevor wir eingezogen werden.“  

Auch mündlich bestätigte Hans Jürgen Larsen später, dass es eine freiwillige Meldung gewesen war, wobei ihn seine Umwelt sicher in diese Richtung wies. Die Teilnahme am Zweiten Weltkrieg sollte für Hans Jürgen Larsen noch ein längeres Nachspiel haben. Am 12. Mai 1945 wurde er von amerikanischen Soldaten in der heutigen Tschechei festgenommen. Da diese aber zu weit vorgerückt waren, wurde er zwei Tage später an russische Soldaten übergeben. Dies war der Punkt, an dem seine „klassische“ deutsche Nachkriegsgeschichte anfing. Für Hans Jürgen Larsen sollte die Übergabe 10 Jahre Kriegsgefangenschaft bedeuten. Eine Gefangenschaft, die ihn u. a. nördlich des Polarkreises, nach Workuta brachte.

In den ersten Jahren der Gefangenschaft wurde Hans Jürgen Larsen als Holzfäller, Schachtarbeiter und Straßenarbeiter eingesetzt. Dies waren körperlich sehr anstrengende Arbeiten, und sie waren auf Dauer nicht auszuhalten. Irgendwann, so seine Erzählung, behauptete er Tischler zu sein. Dies führte dazu, dass er von den körperlich anstrengenderen Arbeiten abgezogen und im Wohnungs- und Häuserbau eingesetzt wurde.

Anfangs keinen Bedarf für einen Koffer

Nachdem ihm anfänglich alles Hab und Gut abgenommen wurde, hatte Hans Jürgen Larsen keinen Bedarf für einen Koffer oder ähnliches. Da erst als ab 1950 Pakete empfangen werden durften, und er Lebensmittel, Unterwäsche, Socken und Pullover von Zuhause zugeschickt bekam, sollte sich dies ändern. Von den Baustellen konnte er sich die Materialien für einen Koffer „organisieren“.

So stammten die hölzerne Platten des sich nun im Deutschen Museum Nordschleswig befindlichen Koffers aus Türfüllungen. Die Gefangenen bekamen für ihre Arbeit auch einen Lohn, bei dem  die Kosten für Unterbringung und Verpflegung vorher  abgezogen wurde. Hans Jürgen Larsen konnte sich aber dennoch ein Schloss und den gezeigten Metalllöffel kaufen. Vorher gab es nur einen selbstgeschnitzten Holzlöffel.  

Mit Koffer und Löffel ging es 1955, nach 10 Jahren Gefangenschaft, nach Hause. Zuerst nach Deutschland, wo er von einem Nachbarn und seinen Eltern abgeholt wurde. Hans Jürgen Larsen entschied sich nach der Heimkehr in Schleswig-Holstein sesshaft zu werden. Dort verstarb er Ende 2016.

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