100 Jahre – 100 Gegenstände – 100 Geschichten

Junge Front – Schriftliche Quellen für ein tieferes Verständnis der Geschichte

Junge Front – Schriftliche Quellen für ein tieferes Verständnis der Geschichte

Schriftliche Quellen für ein tieferes Verständnis

Hauke Grella
Hauke Grella Museumsleiter
Nordschleswig
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Fotoreportage Johannes Schmidt-Wodder Foto: Deutsches Museum Sonderburg

Am Beispiel von Wilhelm Jürgensen zeigt sich, wie wichtig alte Dokumente sind

Viele der Gegenstände in der Ausstellung und der Sammlung des Deutschen Museum Nordschleswig sprechen schon eine deutliche Sprache, wenn wir an die Geschehnisse von Mitte der 1930er bis Mitte der 1940er Jahre denken. Gegenstände wie z. B. das nationalsozialistische Mutterkreuz geben einen Hinweis darauf, wie die deutsche Minderheit sich in dieser Zeit, als Teil der deutschen nationalistischen Volksgemeinschaft gesehen hat.

Im Allgemeinen gilt, dass die dargestellten Gegenstände in der Ausstellung einen Einblick in die vergangenen Zeiten gewähren. Darüber hinaus gilt aber immer auch, dass man, wenn man ein tieferes Verständnis von vergangenen Zeiten wünscht, um die Lektüre von schriftlichen Quellen und Dokumenten nicht herumkommt.

Zwei primäre schriftliche Quellen aus der Zeit des Nationalsozialismus sind die Nordschleswigsche Zeitung, die damalige Tageszeitung der deutschen Minderheit, und ein Monatsmagazin mit den Namen Junge Front.

Letzteres wurde seit März 1937 als Zeitschrift für „die deutsche Jugend Nordschleswig“ herausgegeben. Ab 1942 wurde es dann allgemeine „Zeitschrift der deutschen Volksgruppe in Nordschleswig“.

Im Mittelpunkt des Monatsmagazins standen hauptsächlich Berichte über die eigene Minderheit. Dazu kamen Berichte über andere deutsche Minderheiten in Europa, historische Themen, wie die Volksabstimmung 1920 oder der Krieg von 1864, aber auch fast schon modern anmutende „Fotostorys“ wie z. B. aus Anlass des 75.-jährigen Geburtstags von Johannes Schmidt-Wodder.

Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs, waren auch regelmäßig Berichte von nordschleswigschen Kriegsteilnehmern zu lesen. Mit Verlauf des Krieges wurde dort dann auch mitgeteilt, wer gefallen war.
Neben einer Übersicht über aktuelle Ereignisse, primär aus dem Grenzland, gab es auch die Rubrik „Aus unserer Schleswigmappe“. Diese Rubrik diente hauptsächlich dazu, verbale Angriffe in verschiedene Richtungen zu fahren. Hauptsächlich geprägt durch den nationalen Gegensatz im Grenzland.

Nordschleswigsche Zeitung(1929-1945) Foto: Deutsches Museum Sonderburg

Geschrieben wurde diese Rubrik, wie auch viele andere Artikel in der Jungen Front, hauptsächlich von Wilhelm Asmus Jürgensen, vielleicht besser bekannt unter dem Synonym Asmus von der Heide. Dieser war 1902 in Angeln geboren und war von 1931 bis 1945 Lehrer an den deutschen Schulen Süderhaff, Lügumkloster und Baurup. Ab 1940 übernahm er im Auftrag der Minderheitenleitung auch das Schreiben einer Rubrik in der Nordschleswigschen Zeitung. Dies mit dem Titel „Unsere Stimme“. Diese Rubrik kann als eine Art Sprachrohr der damaligen Minderheitenführung angesehen werden. Ab 1943, als Nachfolger von Rudolf Stehr, übernahm Wilhelm Jürgensen das Amt für Presse und Propaganda der NSDAP-Nordschleswig.

Der dänische Historiker Johann Peter Noack beschrieb Wilhelm Jürgensen als einen der extremen Nationalsozialisten innerhalb der deutschen Minderheit. Nach Noack wendet sich Jürgensen in seinen Artikel mit dem Kriegsverlauf immer mehr nationalsozialistisch-ideologischen Themen zu. Dies lässt sich auch deutlich in der „Jungen Front“ ablesen.

In der Ausgabe der Jungen Front vom Mai 1945 lässt sich Wilhelm Jürgensen über ein Sprichwort eines Kalenderblattes eines dänischen Kalenders aus. Es handelte sich dabei um das Sprichwort „Die Liebe ist süß, doch nur mit Brot.“ Nach Angaben soll es sich dabei um ein Sprichwort jüdischen Ursprungs handeln. Wilhelm Jürgensen schrieb dazu:„ … Das Wort spricht für sich selbst und verrät sofort den dreckigen, gierigen Juden. Dass er so denkt und handelt, ist seine Sache,… . Es ist aber recht traurig, wenn ein germanisches Volk wie das dänische sich solche gemeinen jüdischen Sprüche auf seinen Kalender gefallen lässt. … Ein Jude kann mich nicht erbittern, ich kenne ihn ja; aber daß dänische Menschen das Gefühl für die Sauberkeit ihres eigenen völkischen Lebens so weit verloren haben, das kann mich nicht nur verbittern, das muss mich verbittern, wenn ich es gut mit diesem Volke meine.“

Fotoreportage Johannes Schmidt-Wodder Foto: Deutsches Museum Sonderburg

Dieses Zitat macht deutlich welche antisemitische Haltung aber auch welche Einstellung Jürgensen gegenüber der dänischen Bevölkerung einnahm. Dies ohne Frage unter der Billigung der damaligen Leitung der Minderheit.
Wilhelm Jürgensen wurde im Rahmen der Rechtsabrechnung zu 10 Jahren Haft verurteilt. 1950 wurde er begnadigt und als deutscher Staatsbürger des Landes verwiesen. Von 1954 bis 1958 vertrat er die Deutsche Partei im Schleswig-Holsteinischen Landtag. Er verstarb 1972.
Dies kleine Beispiel zeigt, wie wichtig die schriftlichen Quellen für ein tieferes Verständnis der Vergangenheit sein können. Manchmal eben auch deutlicher als es Gegenständen in Ausstellungen vermögen.

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