100 Jahre Deutsche Minderheit

Folge 14: Im Gedenken an den Widerstand vom 20. Juli 1944

Folge 14: Im Gedenken an den Widerstand vom 20. Juli 1944

Folge 14: Im Gedenken an den Widerstand vom 20. Juli 1944

Hauke Grella
Hauke Grella Museumsleiter
Apenrade/Aabenraa
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Armbinde des dänischen Widerstands Foto: DN

Hauke Grella berichtet, wie eine Armbinde der dänischen Widerstandsbewegung aus dem Zweiten Weltkrieg Teil der Geschichte der deutschen Minderheit wird. Im Zentrum dieser Geschichte steht Jens Peter Jessen.

Im Normalfall sind es Angehörige der deutschen Minderheit, die Exponate im Deutschen Museum Nordschleswig abliefern. Der vorliegende Gegenstand ist hier eine Ausnahme, und wer sich ein wenig mit der dänischen Geschichte auskennt,  wird hier schon eine interessante Geschichte vermuten. Der gezeigte Gegenstand ist eine Armbinde der dänischen Widerstandsbewegung aus dem Zweiten  Weltkrieg.

Die Geschichte der deutschen Minderheit, in Zeiten des Nationalsozialismus, ist auf wenige Ausnahmen davon geprägt, dass man sich nahezu 100 Prozent dem Nationalsozialismus angeschlossen hatte. Wie also ist die Armbinde Teil der Geschichte der deutschen Minderheit geworden?  Dies hängt primär mit der Person Jens Peter Jessen zusammen.

Freiwilliger Kriegsdienst

Geboren wurde Jens Peter Jessen am 11. Dezember 1895 in Stoltelund bei Tingleff als Sohn von Maria und Jes Ratenburg Jessen. Nach dem Besuch der Volksschule in Baistrup setzt er seine Schullaufbahn am Alten Gymnasium in Flensburg fort. Kurz nach dem Abitur bricht der Ersten  Weltkrieg aus, und Jens Peter Jessen meldet sich freiwillig zum Kriegsdienst.

Nach dem Krieg nimmt er das Studium der Volkswirtschaft und Jura auf. Dies u. a. in Kiel, Hamburg und Heidelberg. Seine Professoren sind u. a. Bernhard Harms und Max Weber. 1920 promoviert er.

Schon früh meldete sich Jens Peter Jessen in nationalsozialistische Organisationen. In Kiel wurde er Mitglied im „Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund“, eine völkisch-antisemitische Organisation. Später, nachdem diese Organisation verboten wurde, meldete sich Jens Peter Jessen in die NSDAP. Innerhalb der NSDAP wurde er dann später wissenschaftlicher Mitarbeiter für ökonomische Politik. Ob er aufgrund dieser Tätigkeit und seiner dortigen Kontakte dann ins Blickfeld für höhere Aufgaben kam, ist nicht bestätigt. Fakt ist, dass er Ende 1933 zum Leiter des Institutes für Weltwirtschaft in Kiel ernannt wurde. Diese Position bekleidete er aber nicht lange. 1934 kam es zu einem Streit um einen Kollegen mit jüdischen Wurzeln. Bei diesem bezog Jessen die Seite des Kollegen und wurde deswegen zwangsversetzt.

Ob hier schon erste Zweifel an der Ideologie und der Zielrichtung der Nationalsozialisten aufkamen, ist nicht bestätigt. Weitere „Zwischenfälle“ sind dokumentiert. So wird 1935 sein Fachbuch „Volk und Wirtschaft“ stark kritisiert und 1936 wird Zweifel an seiner frühen Mitgliedschaft in der NSDAP gehegt. Trotz dieser „Zwischenfälle“ wird er 1939 Leiter des Ausschusses für die Reform des Volkswirtschaftsstudiums.

Im selben Jahr wird er Mitglied in der Mittwochsgesellschaft (Freie Gesellschaft für wissenschaftliche Unterhaltung), ein Kreis, in dem wissenschaftliche Themen im Privaten diskutiert wurden. Auch wenn die Mittwochsgesellschaft, in ihrer Gesamtheit, nicht zum Widerstand gerechnet werden konnte, knüpfte Jens Peter Jessen dort Kontakte mit einigen Widerstandskämpfern. So u. a. Ludwig Beck und Ulrich von Hassel und wurde ein fester Bestandteil des Widerstandes. Früh wurde wohl auch über die Möglichkeit gesprochen, Hitler zu töten und einen Umsturz in Deutschland herbeizuführen. 

Während des Krieges wurde Jessen wieder zum Militär eingezogen. Dort als Hauptmann an die Spitze der Passierscheinhauptstelle beim Generalquartiermeister des Heeres. Damit konnte Jessen den Verschwörern Reiseerlaubnisse ausstellen und damit ihre Tätigkeit enorm erleichtern.

Im Fadenkreuz der Nationalsozialisten.

Durch einen Autounfall konnte Jens Peter Jessen nicht an dem Attentats- und Umsturzversuch am 20. Juli 1944 teilnehmen. Nach dem missglückten Attentat gerieten die Widerstandskämpfer ins Fadenkreuz der Nationalsozialisten. Bei Jessen sollte es bis zum Oktober 1944 dauern, bis ein Haftbefehl erlassen wurde. Am 7. November wurde er am Volksgerichtshof, unter dem Vorsitz von Roland Freisler, zum Tode verurteilt. Jens Peter Jessen wurde am 30. November 1944 gehängt.

Welche Rolle Jens Peter Jessen wirklich bei dem Attentats- und Umsturzversuch am 20. Juli 1944 spielte, ist auch heute noch schwer nachzuvollziehen. Aus verständlichen Gründen neigten Widerstandskämpfer nicht dazu, Protokolle über ihre Treffen zu führen.  Ein Anhaltspunkt könnte aber das, nach dem Zweiten Weltkrieg veröffentliche, Tagebuch vom Widerstandskämpfer Ulrich von Hassel geben. Dort steht geschrieben:  „An diesem Abend sagte Jessen verzweifelt: ‚Es wäre in der Theorie so einfach, diesen Verbrecher (Hitler) zu beseitigen: Der vortragende Offizier bringt eine Mappe mit herein, die Sprengstoffladung enthält, legt die Mappe auf den Schreibtisch von Hitler, lässt sich zu einem verabredeten Telefonanruf herausholen, und Hitler ist beseitigt!‘“

Des Weiteren schreibt Wolf Ulrich von Hassel, Sohn von Ulrich von Hassel und Herausgeber der Tagebücher seines Vaters, dass noch am Vorabend des Attentates die Hauptfiguren des Widerstands mit Stauffenberg bei Jens Peter Jessen für einen letzten Durchgang des Ablaufes, zu Besuch waren. Auch dies lässt darauf schließen, welche Bedeutung Jessen hatte.

Wie aber kommt nun die Armbinde des dänischen Widerstandskämpfers ins Bild? Am 20. Juli 1994 organisierte der Bund Deutscher Nordschleswiger eine Gedenkveranstaltung zur Erinnerung an den Attentatsversuch und an Jens Peter Jessen. Dies am Familiengrab der Familie Jessen auf dem Tingleffer Friedhof. Bei dieser Gelegenheit, ohne dass es vorher jemand wusste, legte der dänische Widerstandskämpfer P. W. Nørgaard seine Armbinde zum Andenken für die Widerstandskämpfer am Familiengrab der Familie Jessen nieder. Über den Bund Deutscher Nordschleswiger gelangte die Armbinde dann ins Deutsche Museum Nordschleswig.

Foto: BDN
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