Flucht und Migration

Nichts für selbstverständlich halten

Nichts für selbstverständlich halten

Nichts für selbstverständlich halten

Ruth Nielsen
Ruth Nielsen Lokalredakteurin
Atzbüll/Adsbøl
Zuletzt aktualisiert um:
Simo
Hanne Næsborg Andersen, ihr Mann Ketill und Simo Foto: Ruth Nielsen

Das Ehepaar Hanne Næsborg und Ketill Andersen hat den jungen afghanischen Flüchtling Simo aufgenommen.

Seit November hat  das Ehepaar Hane Næsborg und Ketill Andersen einen Mitbewohner, den jungen Simo, der vor zwei Jahren aus Afghanistan geflohen ist, allein, ohne Erwachsene. In seiner Heimat hat er keine  Familie mehr, die ist in aller Welt verstreut.

Von seinem Schicksal hat  das Paar über die Facebookgruppe „Venligboerne“ erfahren. Simo hatte keine Papiere bei sich, er wurde  im Asylcenter für unbegleitete   Jugendliche in Tondern untergebracht. Nur laut einer ärztlichen Untersuchung soll er mindestens zwei Jahre älter sein, somit war er mündig. Er  wurde ans Asylcenter in Sonderburg überführt, allein unter Erwachsenen. Er teilte ein Zimmer mit   Männern, musste selbst  für sein leibliches Wohl sorgen, einkaufen, kochen.

Und das hat das Ehepaar tief drinnen berührt. Es meldete sich spontan als Kontaktperson für Simo. „Er stand ja alleine, unter lauter Erwachsenen, hatte niemanden. Er gefiel uns sofort. Er ist ein netter Junge  und sehr  intelligent. Das hat sich dann im Laufe des Frühjahrs  so entwickelt“, erzählt Hanne.

Im Mai erhielt Simo den abschlägigen Bescheid: Er ist nicht als Flüchtling  anerkannt, dabei ist  er als Angehöriger  der persischsprachigen Hazara in Afghanistan vor Verfolgung nicht sicher. Er gehört der schiitischen Konfession an,  die Mehrheit des Landes sind Sunniten. 

„Der Entscheid wurde sofort eingeklagt, das geht ganz automatisch, die Wartezeit ist lang. Daher hat er noch keine Aufenthaltsgenehmigung“,  berichtet sie weiter. Und das bedeutet, Simo hat (ohne den Schlüssel „CPR“)  kein Anrecht auf Leistungen   wie Sprachunterricht in der kommunalen Sprachenschule (LærDansk).  

Da das Sonderburger Asylcenter zum Oktober schließen sollte, stand ein erneuter Umzug für Simo an: „Er ist genug umgezogen. Er sollte  bei uns wohnen“, sagt sie zum Antrag an die   Ausländerbehörde  im Juli. „Nach ,nur‘  zwei Monaten sagte sie Ja. Simo ist aber weiterhin dem Asyl Syd unterstellt.  Das heißt,  wir fahren  alle 14 Tage nach Lügumkloster, um sein Taschengeld abzuholen, 1.100 Kronen. Die müssen reichen für Essen, Kleidung, eben alles“, sagt sie und kann nur mit dem Kopf schütteln angesichts    der Meinung vieler, dass Flüchtlinge    zu viel bekommen.  

Den Sprachunterricht hat das Paar übernommen und ihm sogar ein Praktikum bei „Elgiganten“ verschafft. „Er kriegt viel Lob von Kunden. Er ist ja nur Praktikant,  ruft aber mit seinen Dänischkenntnissen bei  Microsoft an, um eine Lösung des Problems zu finden“, klingt Stolz bei Hanne  an. Simo muss so gut sein, dass die Firma ihm  sozusagen ein Weihnachtsgeschenk gemacht hat: Sein  Vertrag  ist um 13 Wochen verlängert, gültig ab heute.

„Sie sind wie eine Familie für mich. Es fällt mir nicht schwer,  mit ihnen zu reden. Ich bin froh, hier  bei ihnen sein zu dürfen“, sagt Simo, der auch schon die „Julefrokost-Tradition erlebt hat.  Er isst   (fast) alles. Er praktiziert nicht seine Religion, vielmehr ist er „Moslem des Herzens. Wir  richten  uns natürlich danach, Schweinefleisch  gibt es nicht. Wir essen auch viel vegetarisch“, so Hanne, die wie Ketill begeistert ist von der afghanischen und  indischen Küche.

Für das Zusammenleben wurden einige Regeln aufgestellt: „Das größte Problem war wohl, dass er lernen musste, Bescheid   zu sagen, wenn   er  nicht zum Essen kommt“, sagt sie lachend.  

Hanne und Ketill sind über Simo noch aufmerksamer darauf geworden, welchen Einfluss Unwissenheit über die Kultur  des anderen haben kann. „Man darf nichts für selbstverständlich halten.   Was wir als leicht verstehen, muss es nicht für Simo sein. So entstehen Missverständnisse. Wir versuchen,  jeden Tag zu einem guten Tag zu machen. Er kann ja nichts tun“, meint  Hanne. 

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