Kardels Tagebuch: 1915-1918

Einträge von März 1917

Einträge von März 1917

Einträge von März 1917

Harboe Kardel
Frankreich
Zuletzt aktualisiert um:
Foto: DN

Kardels Tochter Elsbeth Kardel Knutz hat unserer Zeitung die eigenhändig abgetippten Tagebücher zur Verfügung gestellt, sodass Der Nordschleswiger bis zum Ende der Aufzeichnungen bis 2018 Kardels Tagebucheintragungen abdrucken kann. Die Einträge sind immer am 1. eines Monats 100 Jahre später abrufbar.

1. März 1917.

Gestern Morgen bin ich mit Leutnant Friedrichsen in die Stellung gefahren. Dieser und Leutnant Schuster gingen gleich in den Graben zum Einschießen, konnten aber bei dem Nebel nicht viel sehen. Das „Bärenloch“ wurde geschlossen, da von dieser Beobachtung nichts zu sehen war. Eben sind die beiden Offiziere wieder nach vorne gegangen. Wenn sie wieder zurückkommen, soll ich im „Bienenkorb“ beobachten.

Wenn ich doch erst selbständig wäre! Jetzt bin ich doch immer nur Unteroffizier, “Vicewachtmeister“. Eine ganz andere Schaffensfreude würde mich erfüllen.

Oberlehrer Jensen sagte von meinem seligen Vater: “Er war streng gegen andere, aber am strengsten gegen sich selbst.“

So viele Einzelheiten von Tondern fallen mir jetzt erst wieder ein.

Am Montagmorgen 19.2.17. sahen wir unseren Vater zum letzten Mal. Mutter nahm das weiße Tuch von seinem Gesicht. Meine liebe Mutter drückte weinend seine starren gefalteten Hände. Johannes, Rudolf, Tante Dora und ich standen trauernd dabei. Dann gingen wir hinaus, und Meister Popp ging im schwarzen Rock, mit Hammer und Nägeln durch die „beste Stube“, um den Sarg zu schließen.

Grete erzählte mir zu Hause, dass Vater einige Tage vor seinem Tode lange Zeit vor sich hin summte: „ Glücklich ist, wer vergisst, was einmal nicht zu ändern ist.“ Das ist mir rätselhaft. Zu einem bekannten sagte er kurz vor seinem Tode:

„ So Gott will, gedenke ich noch 20 Jahre nach dem Vorbilde meines seligen Vaters in der Schule tätig zu sein.“

Am Montagabend meinte er zu seinem Freund Brodersen, er könne die vielen Rüben nicht vertragen und bat ihn, durch die beste Stube und nicht durch die Küche zu gehen, damit ihm der Rübengeruch erspart bleibe.

9. März 1917.

Jetzt bin ich Artillerie-Verbindungsoffizier. Wohne neben dem Batl. Gefechtsstand.

Tagesordnung: 7½ Wecken, 8 Kaffe, dann Spaziergang durch die Gräben. 1 Uhr Mittag. Dann Schlummerstündchen, 4 Uhr Kaffee, 7½ Abendessen.

Major Balan ist ein Mann, der nur einen Offizier für voll ansieht. Mich also nicht, an seinem Tisch „duldet“ er mich nur. Das soll aber auf mich keinen Eindruck machen. Ich tue meine Pflicht, und es soll mir einerlei sein, ob ich dem Major gefalle oder nicht.

10. März 1917.

Ich kann den Herren vom Batl. Stab nicht näher kommen. So gestern Abend nach dem Essen—eben hatte Leutnant Neumann mit mir etwas persönliches gesprochen, als der Major mich wieder hinausschickte, indem er sagte: „ Sie können das Tagebuch gern mitnehmen.“

Heute ist Nebelbereitschaft. Oberstleutnant v. Rettberg gibt ernste Ermahnungen.

Ich soll mit dem Schießgeschütz auf Pkt. 401-407 schießen, bis jetzt kann ich aber nichts sehen.

Um 2 Uhr klärte das Wetter auf, und ich schoss auf den ersten Graben von der „Pfefferbüchse“ aus. Es ging glatt.

11. März 1917.

Das II.Batl. ist durch das III. ersetzt worden.

Mit Lt. Kleppe von der 4. Batt. Schoss ich auf Pkt. 409,407, 401 und 315. Der Adjutant sagte mir, dass ich meine Verpflegung von der II. Kompagnie empfangen könne, weil der Offizier-Stellvertreter des Battl. auch nicht mir den Offizieren zusammen äßen, und was der Artillerie recht wäre, sei der Infanterie billig. Sehr vernünftig!

Ich sah, wie zwei englische Flieger abgeschossen wurden.

Die Luft war weich und warm—es wird Frühling.

Hauptmann Potell war freundlich, als ich mich heute Abend bei ihm meldete.

Keine Post—nichts zu lesen—traurig.

15. März 1917.

Offz.Stellvertreter, die auch Offizier- Aspiranten sind, werden zurückernannt. Als ich mit Leutnant Friedrichsen in Roulers war, lernte ich Oberleutnant Gossler und Leutnant Gries-Danikan kennen. Ich hege immer die Hoffnung, dass solche Leute mir weiterhelfen können.

Am 13.3. ritt mit Stieger und Glienicke nach Staden.

Mein lieber Vater hat nie etwas über seine Jünglingsjahre erzählt, als er noch die Freuden der Welt genoss. Wann und unter welchen Umständen erfolgte die Umkehr?

Ich kenne ihn nur als einen Mann, der nur für das Reich Gottes lebte.—Er war „nicht von dieser Welt“.—Wie freute er sich, wenn ich ihm Sonntagmorgen ein Choral spielte! Dann kam er zu mir in die beste Stube und sang mit.

19. März 1917.

Mein Schulkamerad Viktor Janss schreibt mir aus Flensburg. Sein rechtes Auge ist blind, beide Beine sind steif.

Nächtliche Fahrt mit Lt. Schuster nach Staden. Die dortigen Pasteten waren Prima.

Hoffentlich geht in Russland weiter alles drunter und drüber.

Am Sonnabend den 17. War ich in Roulers. Es war Frühlingswetter.- Am Sonnabend fuhr ich mit 29 Mann der Abteilung nach Gent. In Gent haben wohl die meisten ihren fleischlichen Lüsten gefröhnt. Ich wollte das nicht. Ich dachte dabei an mein Elternhaus. Sah mir also das Leben und Treiben in Gent an, aß gut, gab Geld aus und kehrte um 12.30 wieder in mein flandrisches Kaff zurück.

Um 9 Uhr langte ich heute morgen in der Feuerstellung an, es war Lt. Friedrichsen zu spät.

Die jungen Vize-Wachtmeister sollen jetzt Offiziere werden. Ohne Erfahrung! Abteilungs- und Batterieführer sagen selbst, dass das ganz falsch ist, und dass z.B. Gätgens und ich besser einen Offizier vorstellen könnten als sie. Und doch geht die Sache ihren Gang. Sollten die Offiziere im Regiment, deren Wohlwollen ich zu haben glaubte, nur scheinbar meine Freunde sein?—Das junge Leute mir vorgezogen werden, ärgert mich.

Als Lt. Friedrichsen mich heute Morgen fragte, ob ich auf den Res.Offizier verzichten und Feldwebelleutnant werden wolle, sagte ich ja. Wer soll denn später die teuren Leutnants-Übungen bezahlen?

21. März 1917.

Seit gestern bin ich Artillerie-Verbindungsoffizier.

Als ich nach vorne ging, pfiff mir kalter Regen und Schnee ins Gesicht. Ich ging mit Gätgens und Wiesler durch den Abschnitt. Zum Battl.Stab gehören Major Dziobek sowie die Leutnants Hellmann und Vieth. Es sind lieben Menschen, und ich fühle mich wohl unter ihnen.

Eben heftige Beschießung durch Geschosse mit Verzögerung. Wir saßen gerade beim Kaffee, als unter dem Getöse eines Einschlags die Tür aufflog und ein Fuder Erde über den Tisch hinwegfegte. Ein großer Knüppel flog Lt. Vieth in den Rücken. Die

Küche der Offiziers-Burschen ist eingeebnet, Stiefel und Kleider zerfetzt, die Lebens-mittel verschüttet. Ich merkte, wie die Bunker schaukelten! C`est la guerre!!

23. März 1917.

Nun ist das I. Batl. Durch das II. abgelöst, Hauptmann am Ende, der Begründer der Worpsweder Kunstschule, ist Abschnittskommandeur. Als ich mich von Major Dziobek verabschieden wollte, sagte er: „ Warten Sie, ich will Sie erst Hauptmann am Ende vorstellen.“ Er ist eine der besten vornehmsten Gestalten, die ich kennen gelernt habe.

Wie hat er mitgeschaufelt, als die schweren Schüsse die Feldbahn zugeschüttet hatten!

Ich komme nicht von dem Gedanken los, dass ich ungerecht behandelt werde. Hätte mein seliger Vater nicht so viele Kinder gehabt, hätte ich auf dem Kursus eine bessere Ökonomie gehabt, und nicht den Eindruck eines armen Kerls erweckt. Ich hätte auch mehr Selbstvertrauen gehabt. „Freie Bahn allen Tüchtigen“ sagt doch der Reichskanzler!

26. März 1917.

Gestern, am Sonntag, war ich in Roulers, nahm ein Bad und erledigte meine Einkäufe.—Dobriner, sympathischer Jude, ist Wachtmeister geworden und gehört auch dem Kasino an.

Vor dem Korpsstabsquartier in Roulers standen 6 Autos, die vollbesetzt mit Generalstabsoffizieren, Roulers verliessen. Heute hörte ich, dass Ludendorff dabei war.

Gestern Abend sagte Lt. Friedrichsen nach einem Telefongespräch mit Hauptmann W.: „ Wir kommen fort.“ Die Nachricht hörte ich gern. Denn dann wird das stete Einerlei unterbrochen durch etwas Neues. Ich entbehre die Zivilisten im Ruhequartier, und die Beobachtungsstellung, die wir besetzen, ist ganz hanebüchen.

Dienstagabend—ich brauche morgen nicht raus. Ich soll Protzen und Beobachtungswagen ausrüsten. Lt. Friedrichsen ist eben zur „Mütze“ gegangen, dem Treffpunkt der Offiziere, und ich bin allein zurück geblieben.

Mehr lesen

Leserbrief

Meinung
Allan Søgaard-Andersen
„Bekymret for det ekstreme højre“