Kardels Tagebuch: 1914-1918

Einträge von Juli 1917

Einträge von Juli 1917

Einträge von Juli 1917

Harboe Kardel
Frankreich
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Kardels Tochter Elsbeth Kardel Knutz hat unserer Zeitung die eigenhändig abgetippten Tagebücher zur Verfügung gestellt, sodass Der Nordschleswiger bis zum Ende der Aufzeichnungen bis 2018 Kardels Tagebucheintragungen abdrucken kann. Die Einträge sind immer am 1. eines Monats 100 Jahre später abrufbar.

1. Juli 1917.

Der Morgenkaffe ist eingenommen, Die Gig angespannt, und senn Lt. Schuster nun auch Kaffee getrunken hat, fahren wir los. Das Wetter ist trübe, wie meine Stimmung. Wann wird das Leben wieder endlich einmal Lebenswert?

Wann können wir unglücklichen Menschen endlich aufhören, niederzureißen, zu brennen, zu morden?


3. Juli 1917.

Heute Morgen werde ich durch Hans Gätgens abgelöst, da ich A.V.O. werden soll. Die beiden Nächte habe ich durchgewacht.

Der Krieg wird immer mehr grausam. Früher bekam man doch noch etwas Schlaf.

-Merkwürdig ruhig ist`s jetzt. Und doch erwarten die höheren Stellen noch etwas.

Ich sehne mich nach dem Heimatfrieden, dem stillen Glück zu Hause, nach fruchtbringender Arbeit, aber ein Ende des Krieges ist nicht abzusehen.

 

5. Juli 1917.

Gestern Abend waren Kleppe, Johannsen und ich bei der 4. Batterie. Das Grammophon war wieder in Ordnung, und der Eierkognak war eine feine Sache.

Ich musste um 8 Uhr Lt. Schütt als A.V.O. ablösen.- Kommandeur ist Hauptmann Eggers, ein freundlicher Herr.—Das Essen verschlief ich, aber die Ordonnanz hatte etwas für mich aufgehoben.

 

9. Juli 1917.

Nun ist mein Dienst als A.V.O. beendet. Ich muss sagen: diesmal hat es mir Spaß gemacht. Das bewirkte vor allem der prächtige Hauptmann Eggers, dessen Vaterlandsliebe, Siegeszuversicht, Freigebigkeit und Vornehmheit des Charakters mich zur Bewunderung zwangen. Was hat der nicht schon alles gesehen! Ihn drücken auch keine Geldsorgen. Stets hat er mich gut behandelt. Immer standen mir Wein und Zigarren zur Verfügung. Als 48 jähriger ist er mit seinen vielen Narben wieder an die Front gegangen.

Am 1. Tag schossen wir Vernichtungsfeuer, am letzten wieder. Es dauerte 7 bzw. 4 Minuten, bis es einsetzte. Das dauerte der Infanterie zu lange. Aber kann es schneller gehen?

Einmal war ich beobachtend auf dem Bois du Vert. Das zweite mal wurde die Beobachtung durch Regen vereitelt. Die Kiesgrube wird jetzt oft befunkt, besonders nachts.

Das Essen war hier prima. Ich habe mich immer ordentlich satt gegessen. Gestern hatte Hauptmann Eggers Geburtstag. Da gab`s noch extra Gutes. Eine so schöne Torte wie gestern hab` ich seit Jahren nicht gegessen.

 

12. Juli 1917.

Am 5. Juli Morgens 4 Uhr 30 fiel Vizewachtmeister Gätke von der 10. Batterie, der mit Hans Gätgens losgeschickt war, um einen M.G.-Stand für die rechte Nachbar-division zu erkunden. Ein Kopfschuss traf ihn am „Termitenhügel“. Sein Leib wurde nachher durch 76 er geborgen.

Der letzte Tag der Ruheperiode ist da. Ich freute mich einmal wieder mit Hans Gätgens zusammenzusein, der sich erst langsam von seiner gefahrvollen Patrouille wieder erholte. Nun erntet er allerdingt dafür von allen Seiten Dank und Anerkennung.

Als wir nach Douai fuhren, scheute die „Liese“ beim Abschuss des Fernfeuergeschützes und ging durch. Doch war der Schaden nur gering.

Meine Reise zu Bruder Rudi wurde dadurch verhindert, dass ich am 13. Juli wieder A.V.O. werden soll.

Hans Gätgens erzählte mir, dass mein Stammrollenauszug zur Abteilung geschickt sei. Ist das der Anfang zur Beförderung?

 

13. Juli 1917.

Gestern Abend war Lt. Finzelberg hier, der heute den zur 10. Batterie kommandierten Lt. Fries als A.V.O. ersetzen will. Wir hatten nichts dagegen. Und die Gruppe war auch gleich einverstanden.

Natürlich fasste ich gleich den Entschluss, Bruder Rudi aufzusuchen. Morgen früh 6.48 fahre ich von Douai ab nach Marle. Hoffentlich treffe ich ihn noch in Ebouleau!

Ich las „Renate“ von Th. Storm. Darin weht Heimatluft. Wann wird mir endlich die Heimkehr beschieden? Das wird zum Teil mit davon abhängen, wie der innerpolitische Kampf verläuft. Ein Eroberungsprogramm können wir nicht durchführen. Wir haben`s auch nicht nötig. Die deutsche Arbeit wird Deutschland wie es vor dem Kriege war, auch nach dem Kriege wieder Hochbringen. Meine Laienanschauung ist dies: Deutschland muss und wird demokratischer werden.

 

16. Juli 1917.

Meine Befürchtung hat sich bestätigt: ich habe Rudi nicht getroffen. Schon auf der Hinfahrt am 14. Juli über Valenciennes –Hirson—Marle rechnete ich damit, Rudi nicht mehr in Ebouleau zu finden. Doch plötzlich keimte frohe Hoffnung in mir auf, als ich hörte, dass das 3. Bayr. Inf. Reg. In Liesse läge. Aber jäh wurde ich wieder Enttäuscht, als ich vom Regiments-Adjutanten von Rudolfs Regiment erfuhr, dass sein Bataillon am Morgen in Stellung gegangen sei. Die Bagage läge in Knautz-Lager zwischen Parfondru und Veslund. Dort könne mir vielleicht ein Führer gestellt werden, Denn das Batl. läge in 2. Oder 3. Linie. Nun schnell im Güterwagen nach Laon! Und von dort zum Knautz Lager. Ich wollte Rudi auf jeden Fall sehen! Nach langem Marsch und vielen Fragen, fand ich das Knautz-Lager, aber seine Bagage war nicht dort. Mein Mut begann zu sinken. Ich gehe nach Parfondru.

Die Ortskommandantur weiß von nichts. Schließlich finde ich doch die Bataillons-Kanzlei aber ich kann nicht zu ihm kommen. Der Weg, 12 km, ist für eine Nacht zu weit. Ich war todmüde. Und gesetzt den Fall, ich käme glücklich durch, was konnten uns einige Nachtstunden nützen. Also schnell einige Zeilen an Rudi geschrieben, die der Radfahrer mitnimmt, und dann zurück nach Laon. Ich war müde und hungrig. Um 9.30 war ich in Laon.

Vorne dröhnte Trommelfeuer. Es war der 14. Juli.

In dem Quartierhaus der Kommandantur fand ich gute Unterkunft. Am nächsten Tag genoss ich Laon und vor allem den herrlichen Blick von der Oberstadt über das französische Land. Mittagessen gab`s auch.

Um 3 Uhr fuhr ich mit einem Urlaubszug zunächst bis Hirson. Dort zu Abend gegessen in der fetten Etappe.- Um 8.30 ging`s weiter nach Cambrai. Um 13.13 war ich in Arleux und um 4.30 zu Haus. Morgen gehe ich als A.V.O. wieder in die Kiesgrupe.

Wie hätten Rudi und ich unser Zusammensein genießen können, wenn ich nur 2 Tage früher gefahren wäre, wie ich`s erst wollte. Ich war ihm so nahe, und doch so fern. Gott schenke uns bald ein fröhliches Wiedersehen.

 

22. Juli 1917.

Als ich am 17. Juli morgens von Gouy abfuhr, war vorn eine dolle Schießerei im Gange. Die Engländer hatten mit starke Kräften angegriffen und worden abgeschmiert worden. Abends griffen sie noch mal an und nahmen den „Engländersack“ wieder, da die Kompanien vorne durchschnittlich nur noch 20 Mann stark waren.

 

Am 18. Nachmittags war ich mit Lt. Schuster auf dem „Bois du Vert“ . Schuster erhielt eine Schrapnellkugel gegen den Stiefel.

 

Am 19. Griffen die Tommys am „Termitenhügel“ an und wurden gründlich abgeschmiert. Aber auch wir hatten Verluste.

 

Am 20. Und 21. herrschte Ruhe. Am 22. Wurde abgelöst.

Rudi lädt mich ein. Ich komme morgen. Hoffentlich treffe ich Dich an!

Eben war Lt. Friedrichsen bei und zum Kaffee. Er sagte: ich müsse in nächster Zeit wohl Vizewachtmeister werden, wenn ich Offizier werden wollte. Ich sagte, ich wolle das gern in Kauf nehmen.

Fein hielten sich die Verwundeten am 19. Und die Leute, die Gefangene aus den Trichtern Holten.

In der verflossenen Nacht wurde das Regiment 76 durch die 162 er abgelöst. Ihre Verluste waren zu groß.

 

Als ich am 22.7. von vorn kam, lag auf dem Tisch unserer kleinen Stube in der Baracke ein Schriftstück: Johannes ließ sich zur Wahl stellen als Reserve-Offizier.

Da sagte ich mir: Nun muss auch für Dich die Beförderungssache in Gange kommen.

Und richtig ! Im Kasino gab Lt. Schuster mir ein Schreiben des Bezirkskommandos, in dem ich aufgefordert wurde, 3 Offiziere oder höhere Beamte zu nennen, die über mich Auskunft geben könnten.

Ich wollte ja am nächsten Tage Rudi besuchen und mit ihm die Sache bereden, aber Lt. Schuster sagte, ich solle ihm noch am selben Tage die Namen geben. Ich nannte also: Probst Steffen, Schulrat Prall, und Lt. Carstens.

Nach diesen freudigen Errungenschaften erlebte ich am 29. Juli wieder eine ganz große Enttäuschung: Rudi war nicht mehr in Ebouleau. Er muss ganz plötzlich abgerückt sein, denn am 22. Schrieb er noch: Es scheint, dass wir noch einige Tage hier bleiben“. So stand ich denn wieder mutterseelenallein in Marle.

Auf meinen Fernspruch, den ich ihm nach Couy les Eppes nachschickte, bekam ich keine Antwort. Um 7 Uhr abends trat ich die Rückreise an. Wie gern hätte ich meinen lieben Bruder gesehen! In Hirson bekam ich keinen Anschluss mehr und langte erst am 24. 7. mittags über Le Cateau in Arleux an.

 

Am 26.7. ging ich nach vorne, einen Tag in die Batterie, darauf als A.V.O.

Durch die Anstrengungen der Reise und die Trauer über das Misslingen meines Vorhabens, habe ich mir eine Erkältung zugezogen, unter der ich noch leide. Fieber, Kopfschmerzen und Magenverstimmung.

Von Mutter traf heute eine doppelte Trauerbotschaft ein: Großmutter Kardel ist gestorben. Vetter Rudi Suhren tödlich abgestürzt .

Du - liebe Grossmutter- kannst nun ausruhen von Deinem reichgesegneten Leben.

Dich- lieber Vetter- hat der Krieg dahingerafft, in der Blüte der Jugend. Wie gern hätte ich Dir gegönnt die Früchte des Sieges zu genießen, den Du durch Deine Tapferkeit hast mit erstreiten helfen!

 

30.Juli 1917.

Die Lage des Sperrfeuers prüfte ich mit Oberlt. Kolster. Die Minen hatten schon den ganzen Morgen gestänkert. Ich wusste, das bald eine Erwiderung kommen würde. Und eben hatten wir den „Bois du Vert“ verlassen, da bekam er Schlag auf Schlag Granaten, Brennzünder und Aufschlag.

Ich bin krank. Mein Fieber scheint noch gestiegen zu sein. Ich fühle mich Elend.

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