Leitartikel

Das politische Pendel

Das politische Pendel

Das politische Pendel

Apenrade/Aabenraa
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Foto: DPA

Eine Kopenhagener Denkfabrik ist der Meinung: Die EU ist ein stabiler politischer Ruhepol. Stimmt das? Cornelius von Tiedemann macht sich darüber in seinem Leitartikel Gedanken.

Kommendes Jahr ist Europawahl. Eine Schicksalswahl für den reichsten Kontinent der Erde, der in einer tiefen Sinnkrise steckt. War Europa in Deutschland oder Frankreich eigentlich immer eine Selbstverständlichkeit, hat es in Dänemark seit jeher breite Skepsis und Debatte um das Projekt gegeben.

Interessant dabei ist, was die Kopenhagener Denkfabrik Europa jüngst in einer Studie vorgelegt hat. Sie konstatiert, dass Dänemarks Europa-Skeptiker innerhalb der vergangenen 25 Jahre vom  linken Rand zum rechten Rand des Parteienspektrums gewandert sind. 1994 gingen demnach noch neun von zehn EU-skeptischen Stimmen an den linken Flügel. 2014 war es nur noch eine von vier.
Diese Wanderung hat naturgemäß ihre Ursachen. Eine davon ist die, dass die Feinde der EU am äußeren rechten Rand insgesamt deutlich stärker dastehen als früher. Europaweit – und auch in Dänemark.
Andererseits haben Parteien wie SF ihre EU-Skepsis teilweise aufgegeben, man denke nur an Holger K. Nielsen, der einst mit dem Spruch „Holger og konen siger nej til Unionen“ erfolgreich gegen Maastricht Stimmung machte.

Der einstige Gegner des EU-Beitrittes Dänemarks kritisiert heute die Kollegen von der Einheitsliste dafür, sich denselben „Tagträumen“ hinzugeben wie er damals. Ein Abschied von der EU würde es noch schwerer machen, Wohlstand und Wohlfahrt zu erhalten oder gar auszubauen, argumentiert er. Politische Mehrheiten rechts der Mitte in den Einzelstaaten würden dann, ohne EU-Bindung, aus Sicht der Linken noch fatalere Folgen haben.

Die EU, Brüssel, dient aus Nielsens Sicht also als Aufhängung des europäischen politischen Pendels. Mag es auch noch so weit ausschlagen, es schwingt doch immer wieder zurück, hin und her um die eigene Ruheposition.

Doch gilt das auch heute noch, wo das Pendel Europa mit einer Masse an Menschen, die sich vernachlässigt, abgehängt wähnt, zu kämpfen hat? Eine Masse von Menschen, die nicht mitschwingen wollen, die nicht nur Europa, sondern die viele demokratische Werte an sich für ihre „Ängste und Sorgen“ verantwortlich machen und infrage stellen. Wird das Pendel 2019 wieder zurückschwingen – oder reißt es durch diese Belastung gar ab?

Die vergangenen Jahre seit der Finanzkrise 2008 und dem Höhepunkt der  Fluchtbewegungen um 2015 haben gezeigt, dass sich in der hitzigen Lage vieles sehr schnell ändern kann. Brexit, Ukraine, Syrien, Erdogan, Trump und Putin: Ruhige Zeiten stehen wohl kaum an.
Als „Brückenland“ zwischen den alten und den neuen EU-Staaten, wie die Løkke-Regierung Dänemark sieht, dürfte die politische Entwicklung im kleinen Königreich ein Indikator dafür sein, wie es in ganz Europa weitergeht. Ob das europäische Pendel weiter schwingt.

Die genannte Studie macht jenen, die daran  interessiert sind, Hoffnung, auch wenn es derzeit finster aussehen mag: Der Widerstand gegen die EU nehme in allen politischen Lagern Dänemarks, abgesehen von rechtsaußen, ab, heißt es da. Vielleicht schwingt das Pendel ja gerade wieder zurück.

 

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