Leitartikel

Aufbruch – Umbruch

Aufbruch – Umbruch

Aufbruch – Umbruch

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Apenrade/Aabenraa
Zuletzt aktualisiert um:
Foto: dpa

Der europäische Kern wird sich verändern, und Dänemark muss, obwohl man auch künftig nicht dem Euro angehören will, alles tun, um den Abstand zum Kern nicht zu vergrößern, muss vor allem sichern, dass die Rechte aller EU-Mitglieder weiterhin gleichberechtigt anerkannt werden, auch wenn der Euro-Zug jetzt Fahrt aufnimmt, meint Siegfried Matlok.

Nach einer Marathon-Sondierungsrunde deutet (fast) alles darauf hin, dass in Deutschland wieder eine Große Koalition aus CDU/CSU und SPD unter der Leitung von Bundeskanzlerin Angela Merkel gebildet werden kann.

Noch sind nicht alle Partei-Hürden bei den Sozialdemokraten überwunden, aber erste Reaktionen sowohl von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker als auch aus Paris zeigen eine große Zufriedenheit mit der Berliner Ankündigung eines europäischen Aufbruchs. Das gilt – vor dem Hintergrund der französischen Vorstellungen – vor allem für den Euro-Bereich. Deutschland will  nicht nur – als Folge des Brexit – künftig mehr Geld in die EU-Kasse überweisen, sondern auch zu einem Umbruch in der EU beitragen. Es ist klar, dass nicht nur der dänische Botschafter in Berlin, Friis Arne Petersen, das 28-seitige Einigungspapier mit der Lupe studieren wird. Denn wenn es tatsächlich zu einer erneuten GroKo kommt, dann fährt möglicherweise ein Hochgeschwindigkeitszug ohne die Dänen ab, die dann verdutzt am Bahnsteig die Abfahrt verpassen.

Zwar steht in diesem Papier nichts  vom Schulz-Traum über die Vereinigten Staaten von Europa bis 2025,  aber die europäische Zusammenarbeit wird sich in ihrer Architektur verändern – auch in der Statik nach dem Brexit. Die dänische Regierung hat sich bisher mit „Schwarzbrot“ begnügen wollen, aber es fehlt an eigenen Visionen, an Vorschlägen. Bedauerlich, wie es die jüngsten Fernseh-Äußerungen der Venstre-Politikerin Eva Kjer Hansen spürbar zum Ausdruck bringen: Sie gehört – ohne zu schmeicheln – zu den wenigen Politikern im Lande, die auch mit Herz Europa-Politik betreiben.

Nun soll das Herz zwar den gesunden Menschenverstand nicht ersetzen, aber umgekehrt wird auch kein Schuh daraus. Durch die Dänische Volkspartei und die möglichen Folgen des Brexit für Dänemark – eine Volksabstimmung ist laut Eva Kjer nicht mehr auszuschließen – müssen die sogenannten  (alten) Ja-Parteien jetzt Verantwortung übernehmen, ja, Staatsminister Løkke muss einen nationalen Konsens herbeiführen, um die dänische Stimme in Europa  wieder zur Geltung zu bringen.

Dänemark führt eine aktivistische Außen-und Sicherheitspolitik, aber wo ist eine aktivistische Europapolitik? Da regiert Defensive statt Offensive.
Das bedeutet ja nicht, dass Kopenhagen die Vorstellungen von Berlin und Paris nur einfach übernehmen soll – auch Berlin wird ja  die Vorschläge von Präsident Macron nicht 1:1 umsetzen, aber dringend notwendig sind nun in Brüssel auch dänische Fingerabdrücke. Der europäische Kern wird sich verändern, und Dänemark muss,  obwohl man auch künftig nicht dem Euro angehören will, alles tun, um den Abstand zum Kern nicht zu vergrößern, muss vor allem sichern, dass die Rechte aller EU-Mitglieder weiterhin gleichberechtigt anerkannt werden, auch wenn der Euro-Zug jetzt Fahrt aufnimmt.

Das wird ein schwieriger Prozess, aber man wünscht  sich, dass Dänemark aus seinem nationalromantischen Dornröschenschlaf erwacht und sich der innenpolitischen Träume entledigt.  

Den „Kuss“ man aber selbst liefern!   
  

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