Leitartikel

Apropos Protestwahl

Apropos Protestwahl

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Apenrade/Aabenraa
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Foto: Kyle Glenn/Unsplash

Die Zeit ist reif für mehr politische Bildung, meint Cornelius von Tiedemann. Die Befähigung zur Teilnahme an demokratischen Prozessen und an der öffentlichen Debatte, sie sollte Kernaufgabe der Schulen sein, meint er – und bedauert, dass der Rahmenlehrplan bis zur neunten Klasse dafür nur 60 Unterrichtsstunden vorsieht.

Es ist Zeit, über politische Bildung zu sprechen. Das Gefühl der Machtlosigkeit, des Ausgeliefertseins, greift um sich und treibt Menschen in die Arme der Populisten. Nicht nur in Deutschland, seit Jahren gehen auch Menschen in Dänemark den politischen Lautsprechern auf den Leim.

Gut, dass Unterrichtsministerin Riisager fordert, dass in den Schulen auch wieder mehr Inhalte und nicht nur Methoden und Kompetenzen gelernt werden sollten. Hoffentlich denkt sie dabei auch an politische Bildung. Nein, nicht jeder kann alles wissen. Und nein, die Dänen sind nicht „die dummen Dänen“ – ganz im Gegenteil. Kaum ein Land erreicht ein Bildungsniveau wie das kleine Königreich, und in kaum einem anderen Land sind Schulen so gut ausgestattet, Lehrer so gut ausgebildet.
Doch was nützen uns Kompetenzen und Laptops, wenn viele unsere freie, offene Gesellschaft nicht mehr wertschätzen. Wie auch? Im aktuellen Rahmenlehrplan in Dänemark sind von der ersten bis zur neunten Klasse nur 60 Unterrichtsstunden Gemeinschaftskunde („Samfundsfag“) vorgesehen. Und die auch nur verteilt auf die Klassenstufen acht und neun. Zum Vergleich: Von Klasse eins bis neun gibt es 300 Stunden Christentumskunde und 1.350 Stunden Mathematik.

Doch die Befähigung zur Teilnahme an demokratischen Prozessen und an der öffentlichen Debatte, sie sollte Kernaufgabe der Schulen sein. Wie ist unsere Gesellschaft zusammengesetzt, wie funktioniert sie, wie die demokratischen Systeme und Prozesse in Dänemark und Europa? Wie formuliere ich fundierte Kritik, warum ist Toleranz ein zentraler Wert unserer Demokratie? Und vor allem: Wie kann ich mich einbringen?
Dass viele Menschen radikale Ansichten vertreten und Vorurteilen und populistischen Aussagen Glauben schenken, es hängt ganz sicher auch damit zusammen, dass grundlegendes  Wissen über die tatsächlichen Zusammenhänge fehlt.

Unsere Demokratie bietet Chancen für eigene Mitbestimmung und Gestaltung  für alle.  Doch wenn inzwischen selbst  Politiker  von Parteien, die nicht im Verdacht stehen, Protestparteien zu sein,  sich populistischer Rhetorik bedienen, um die Wähler zu erreichen – es sollte die Alarmglocken schrillen lassen. Die Zeit ist reif für mehr politische Bildung.

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