Skandal um Belästigung und Begünstigung

Schwedische Akademie erwägt Aussetzung des Literaturnobelpreises

Schwedische Akademie erwägt Aussetzung des Literaturnobelpreises

Schwedische Akademie erwägt Aussetzung des Literaturnobelpreises

dpa/shz
Stockholm
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Die schwedische Schriftstellerin Katarina Frostenson ist das Gesicht der Enthüllungen in der Schwedischen Akademie. Foto: dpa

Die Skandale und Rücktritte haben die Nobelpreis-Jury unglaubwürdig gemacht. Bis zur Läuterung könnte die Vergabe ruhen.

Die durch Belästigung, Korruption und Geheimnisverrat stark beschädigte Schwedische Akademie denkt darüber nach, den Literaturnobelpreis in diesem Jahr nicht zu vergeben. Das Gremium der traditionsreichen Kulturinstitution führe entsprechende Diskussionen, bestätigte der Sprecher der Nobelpreisstiftung, Carl-Henrik Heldin, am Mittwoch dem Sender SVT. Beschlossen sei aber noch nichts, betonten Akademie-Mitglieder demnach auch.

Der aus der Jury zurückgetretene Peter Englund schrieb dem Schwedischen Radio: „Mit Gedanken an die Situation der Akademie und den Preis selbst ist es vielleicht das beste, die Vergabe ein Jahr zu verschieben.“ Die Schwedische Akademie wählt seit 1901 den Träger des Literaturnobelpreises aus. Sieben Mal wurde er seitdem nicht vergeben, zuletzt von 1940 bis 1943. 

Verschworene Truppe

Die Schwedische Akademie („Die Achtzehn“) ist eine verschworene Truppe mit altehrwürdigen Gesetzen. Zurücktreten kann man aus ihrer Mitte auf Lebenszeit nicht. Doch genau das haben drei Mitglieder im April faktisch getan. Im Mittelpunkt der ausschlaggebenden Affäre stehen Akademiemitglied Katarina Frostenson und ihr Ehemann. 18 Frauen warfen dem Franzosen im vergangenen November im Zuge der #MeToo-Bewegung sexuelle Belästigung vor. Akademie-Mitglieder könnten davon gewusst und es geduldet haben.

Zugleich kam heraus, dass Frostensons Mann einen Kulturverein betrieb, der von der Akademie bezuschusst wurde. Die Lyrikerin entschied also jahrelang heimlich mit über Gelder für ihren Mann. Noch schlimmer dürfte für die Akademie allerdings sein, dass sie die Namen von sieben Nobelpreisträgern vorzeitig ausgeplaudert haben soll – darunter 2016 auch den von Bob Dylan. Die historisch gewachsene Glaubwürdigkeit der Nobelpreis-Hüter muss wiederhergestellt werden.

Die Ständige Sekretärin der Akademie, Sara Danius, beauftragte deshalb eine Anwaltskanzlei, die Beziehungen des Franzosen zur Akademie zu untersuchen. Die Akademie diskutierte die Ergebnisse Ende März – und stimmte auch über Frostensons Ausschluss ab. Eine knappe Mehrheit entschied, sie dürfe bleiben – mit der Konsequenz, dass sich drei Mitglieder aus Protest von den Sitzungen zurückziehen.

Aus 18 wurden 13

Die Rücktritte stellten die Akademie vor große Probleme, denn die drei Sitze können erst neu vergeben werden, wenn ihre Inhaber sterben. Das gleiche gilt für zwei Sitze, deren Inhaber bereits vor Jahren im Streit ausschieden. Von den ehrwürdigen 18 treten also nur noch 13 regelmäßig zusammen. Um neue Mitglieder zu berufen, müssen mindestens zwölf abstimmen. Fallen also noch zwei weitere Mitglieder aus, kann die Akademie keine neuen mehr berufen – und würde langsam aussterben.

Eine Untersuchung bestätigte schließlich die Vorwürfe. „Unakzeptables Verhalten in Form von unerwünschter Intimität ist vorgekommen, war allerdings in der Akademie nicht allgemein bekannt“, hieß es. Die inzwischen zurückgetretene Frostenson entschied zudem nachweislich mit über Stipendien für die Kulturinstitution ihres Mannes – laut Akademie regelwidrig und ohne dass die anderen Mitglieder von der Verbindung wussten. Auch die ständige Sekretärin Sara Danius musste ihren Posten aufgeben – nach eigener Aussage auf Wunsch der Akademie.

Ergänzung durch Rücktrittsrecht

Die Sitze der inaktiven Mitglieder können nach den jahrhundertealten Statuten der Akademie eigentlich erst nach dem Tod nachbesetzt werden, da sie auf Lebenszeit vergeben werden. Mit inzwischen sieben Inaktiven sei derzeit aber „ernsthaft die Fähigkeiten der Akademie gefährdet, ihre wichtigen Aufgaben zu erfüllen“, hatte das schwedische Königshaus Anfang April erklärt. Unter anderem sei der nötige Wiederaufbau der Akademie behindert. Deshalb habe König Carl XVI. Gustaf entschieden, die Statuten um ein Rücktrittsrecht zu ergänzen.

Die deutsche Schriftstellervereinigung PEN schlug sogar die Auflösung der gesamten Schwedischen Akademie vor. Sie solle sich völlig neu konstituieren und vielleicht auch international besetzt werden, sagte Präsidentin Regula Venske bei MDR Kultur. Noch sei das Renommee des Literaturnobelpreises nicht beschädigt.

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